Irgendwann wird es wohl wahnsinnig laut im Tiroler Hornbachtal. Dann werden vom Hochvogel (2592 Meter) zigtausende Kubikmeter Stein und Fels hinunter donnern und eine dicke Staubschicht wird das Tal bedecken. Danach ist es ganz still, vielleicht werden aufgeschreckte Vögel umherfliegen. Und es wird seltsam riechen: Nach zerriebenem Stein, nach Fels. Ein Geruch, den viele nicht kennen. Der aber beispielsweise Kletterern sehr vertraut ist.
Soweit das Szenario. Wann es so weit ist, weiß niemand. Dass es so kommen wird, steht für den Geologen Professor Michael Krautblatter von der Technischen Universität (TU) München außer Frage. Ob es vielleicht auch noch zehn Jahre oder mehr dauern könnte, bis sich ein riesiger Felssturz am Hochvogel ereignet? „Das glaube ich nicht“, antwortet Krautblatter im Gespräch mit unserer Zeitung und berichtet von erstaunlichen Ergebnissen der Messungen am Berg in den vergangenen Monaten.
Mit speziellen Gerätschaften wird am Hochvogel seit ziemlich genau einem Jahr die Bewegung des Berges dokumentiert. Genauer gesagt: Es wird untersucht, inwieweit sich ein großer Teil des gewaltigen Hauptdolomit-Gipfelbereichs immer weiter abspaltet und sozusagen nach Süden „wegkippt“. Ist ein bestimmter Neigungswinkel erreicht, kommt es zum Felssturz.
Die Messdaten werden online den Wissenschaftlern in München übermittelt. Besagter Spalt ist im vergangenen Jahr um zehn Zentimeter breiter geworden. „Das ist sehr viel“, sagt Krautblatter. Und: Die Schlucht vertiefe sich „permanent“. Inzwischen reicht der Spalt 40 bis 50 Meter nach unten. Die Wissenschaftler haben hier ihre Messgeräte angebracht. Das war nicht immer ungefährlich. Die alpin erfahrenen und bergbegeisterten Geologen hatten im Seil hängend Haken eingebohrt und Messgeräte angebracht.

Ein Ergebnis findet Krautblatter besonders interessant: Die sensiblen Instrumente hätten in den vergangenen zwölf Monaten sage und schreibe 270 Felsabbrüche registriert und dokumentiert. Das sind immerhin mehr oder weniger große Gesteinsrutschungen am Berg oder im Bereich der großen Spalte.
Noch bevor die kalte Jahreszeit beginnt, werden die Geräte am Berg überholt. Der vergangene, extrem schneereiche Winter habe Schäden angerichtet, sagt Krautblatter. Durch extremen Schneebruch seien im Fels verschraubte Messsonden ausgebrochen. Bis zu 15 Meter Schnee habe sich vergangenen Winter in den Spalten am Hochvogel angehäuft. Die größte Gefahr für die Messgeräte gehe am Hochvogel vom Blitzschlag aus, schildert Krautblatter.
Felsstürze hat es diesen Sommer beispielsweise am Hohen Licht (2651 Meter) in den Oberstdorfer Bergen gegeben, ebenso am Mindelheimer Klettersteig. Der Oberstdorfer Alpinberater Moritz Zobel glaubt, dass derartige Naturereignisse zugenommen haben. Geologe Krautblatter bestätigt das: „Sommerliche Starkniederschläge nehmen zu und das kann zu Felsausbrüchen führen.“ Bergstürze hat es in den Alpen zwar immer schon gegeben. Jetzt aber werden als Folge des Klimawandels heftigere Unwetter mit großen Regenmengen in kürzester Zeit registriert. Das begünstigt Felsstürze, Steinschlag und Murenabgänge.
Durch die globale Erwärmung auftauende Permafrostbereiche spielen in den Allgäuer Alpen keine Rolle, sagt Krautblatter. Anders als beispielsweise an der Zugspitze gebe es selbst an den höchsten Allgäuer Bergen (Großer Krottenkopf, Hohes Licht und Hochfrottspitze) keinen Permafrost. Diese Gipfel sind etwa 350 Meter niedriger als Deutschlands höchster Berg.