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Hochvogel im Allgäu: Der Spalt im Gipfel wird immer breiter

Der Spalt am Hochvogel wird immer größer

Forscher: „Seit 2014 beobachten wir eine immer schneller werdende Öffnung“

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    Der gesamte südliche Teil des Hochvogels droht abzustürzen. Messgeräte am Gipfel sollen Hinweise geben. Professor Michael Krautblatter entwickelt mit seinem Team ein Frühwarnsystem.
    Der gesamte südliche Teil des Hochvogels droht abzustürzen. Messgeräte am Gipfel sollen Hinweise geben. Professor Michael Krautblatter entwickelt mit seinem Team ein Frühwarnsystem. Foto: Michael Munkler

    Der Riss im Gipfelbereich des Hochvogels in den Allgäuer Alpen (2592 Meter) wird immer größer. Und damit steigt Tag für Tag die Gefahr eines gewaltigen Felssturzes. Schon jetzt lösen sich immer wieder mehr oder weniger große Stein- und Felsbrocken und krachen die Südseite des Berges hinunter – manche sind groß wie ein Kühlschrank. Seit geraumer Zeit ist der Hochvogel Gegenstand eines internationalen Forschungsprojekts unter Federführung von Professor Michael Krautblatter von der Technischen Universität (TU) München. Im Gespräch mit unserer Zeitung erläutert der Geologe die aktuelle Situation und spricht über das Ziel und neue Erkenntnisse der Forschungsarbeiten.

    Wie ist die aktuelle Situation?

    Im Gipfelbereich klafft ein 35 Meter langer Riss, zwei bis sechs Meter breit und etwa 60 Meter tief. Daneben gibt es in dem Dolomitgestein noch mehrere Seitenspalten.

    Wie verändert sich der Spalt?

    Messungen haben laut Krautblatter gezeigt, dass der Hauptspalt jährlich zwei bis zweieinhalb Zentimeter größer wird. „Seit 2014 beobachten wir eine immer schneller werdende Öffnung“, sagt Krautblatter.

    Welchen Einfluss hat das Wetter?

    Starkregen oder eine heftige Schneeschmelze beschleunigen das Wachstum des Risses. „Um das Sechs- bis Siebenfache“ für eine gewisse Zeit, schildert der Geologie-Professor. Das sei schon extrem und habe überrascht.

    Wie hat man das herausgefunden?

    Bereits seit 2014 läuft ein Forschungsprojekt durch Wissenschaftler der TU München. Anfangs wurde der Spalt im Gipfelbereich noch mit dem Maßband vermessen. Heute sind dort Sensoren angebracht, die rund um die Uhr Veränderungen feststellen. Entsprechende Daten erhalten die Wissenschaftler online und haben so jederzeit einen Blick auf die aktuelle Situation. Beispielsweise betreut das Planungsbüro „Teamwerk“ mit Sitz im Oberallgäuer Burgberg ein in der Schweiz mitentwickeltes Mess-System, das pro Stunde 700 mal schickt. Die Forscher haben auf ihrem Handy Zugriff darauf.

    Wie würde sich ein großer Felssturz vorher ankündigen?

    Tage vor einem solchen Ereignis würde sich der Spalt mit zunehmendem Tempo öffnen. Gegenstand des Forschungsprojekts sei es, ein Frühwarnsystem zu entwickeln, sagt Krautblatter und betont: „Auch für andere Regionen und Berge.“ Die Wissenschaft wolle „vom Hochvogel lernen“. Ziel sei es, „zwei bis drei Tage vorher zu warnen“. Wichtig sei vor allem auch das Testen verschiedener Mess-Systeme. Deshalb sind neben vier Universitäten auch Privatunternehmen in das Projekt eingebunden.

    Was würde bei einer Warnung am Hochvogel passieren?

    Krautblatter sagt, dass man das Gebiet wohl weiträumig absperre, informiert würden beispielsweise die Tiroler Gemeinde Hinterhornbach, alpine Vereine und Verbände sowie die Alp- und Forstwirtschaft. Unmittelbare Gefahr für Siedlungsgebiete würde wohl nicht bestehen.

    Wie sähe ein großer Felsabbruch aus?

    Wenn – wie angenommen – bis zu 260.000 Kubikmeter Fels und Gestein die Südseite des Berges hinunter krachen würden, gäbe es einen ohrenbetäubenden Lärm. Eine riesige Staubwolke am Berg wäre vermutlich stundenlang zu sehen. Es könnte aber auch sein, dass der Berg in mehr oder weniger großen Portionen zeitlich versetzt auseinander bricht. Oder es kommen noch viel größere Massen hinunter. Krautblatter: „Deshalb arbeiten wir derzeit an Szenarien mit deutlich größeren Mengen.“

    Kann man einen Zeitpunkt nennen?

    „Das wäre, wie wenn Sie das Wetter für heute in einem Jahr vorhersagen wollten“, antwortet der Professor auf diese Frage. Tatsache sei, dass das zunehmende Tempo der Öffnung des Hauptrisses und der Seitenspalten für eine starke Dynamik im Berg sprechen.

    Welche Auswirkungen hätte ein leichtes Erdbeben?

    Ein Beben der Stärke 4, wie es laut Statistik in der Region etwa alle 30 Jahre vorkommt, würde mit großer Wahrscheinlichkeit einen gewaltigen Felssturz auslösen, glaubt Krautblatter.

    Wird an Felssturz-Frühwarnsystemen auch andernorts geforscht?

    Ja, Krautblatter und sein Team sind zudem in der Partnach- und Höllentalklamm bei Garmisch tätig. An der Zugspitze geht es zudem um die Auswirkungen der auftauenden Permafrost-Böden. Dadurch werden ebenfalls Steinschlag und Felsabbrüche in den Bergen begünstigt. Der Klimawandel sei der Hauptgrund für immer mehr Felsstürze im gesamten Alpenraum, erklärt Krautblatter.

    Läuft die Hochvogel-Forschung im Winter weiter?

    Meterhoch liegt der Schnee im Winter in den Spalten des Hochvogel-Gipfels. Dennoch bleiben die wichtigsten Sensoren und Messgeräte am Berg und liefern weiter Daten. Einige Gerätschaften werden aber in wenigen Tagen abgebaut, dazu zählen empfindliche und teure Kameras. Akkus und Batterien werden vor Beginn der kalten Jahreszeit erneuert. „Nächste Woche machen wir den Hochvogel winterfest“, kündigt FU-Doktorand Johannes Leinauer, Mitglied des Forschungsteams, an.

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