Die Unterbringung von Geflüchteten bringt Allgäuer Kommunen an ihre Grenzen. Wie sie entlastet werden können, darüber sprachen wir mit Magnus Brunner. Der Österreicher ist EU-Kommissar für Inneres und Migration und am Sonntag zu Gast in Ottobeuren. Eingeladen hatte ihn die Stiftung „Europäische Kulturtage Ottobeuren“ als Redner zum Festakt „80 Jahre - Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa“.
In einigen Allgäuer Orten wächst der Unmut gegen Pläne, dort Unterkünfte für größere Gruppen von Geflüchteten einzurichten. Argumente sind unter anderem, dass Schulen und Kitas voll seien, es keine Einkaufsmöglichkeiten im Ort gebe, die Integration aufgrund fehlender Infrastruktur kaum gelingen könne. Können Sie all diese Sorgen verstehen?
Wir nehmen die Sorgen der Menschen sehr ernst. Wichtig ist, dass wir Migrationspolitik so gestalten, dass sie ein gemeinschaftliches Miteinander ermöglicht. Und dafür braucht es funktionierende Systeme. Genau an diesem arbeiten wir auf EU-Ebene – wir gestalten gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten eine faire und entschlossene Migrationspolitik. Denn wir in Europa müssen darüber entscheiden, wer nach Europa kommen darf und auch hier bleiben darf, und wer Europa wieder verlassen muss.
„Es gibt Wirkungen auf lokaler Ebene“
Welche Lösung können Sie den betroffenen Bürgern konkret anbieten?
Wir werden auch in Zukunft die Mitgliedsstaaten und Akteure mit Mitteln für konkrete Initiativen unterstützen, um eine reibungslose Integration von Flüchtlingen zu gewährleisten und gleichzeitig die Sicherheit und den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Auf europäischer Ebene arbeiten wir natürlich auch an Lösungen, die erst einmal weit weg erscheinen, dann aber auch ihre Wirkung auf lokaler Ebene haben. Nehmen wir das Beispiel Syrien. Seit dem Fall des Assad-Regimes sind die Asylanträge von syrischen Staatsangehörigen massiv gesunken. Das zeigt, wie Ereignisse in der Welt direkte Auswirkungen auf unsere Asylsysteme haben. Wir müssen jetzt alles dafür tun, die Situation vor Ort weiter zu stabilisieren und Syrien beim Wiederaufbau zu helfen, damit Menschen in eine sichere Heimat zurückkehren können.
Lösungen bei Migration: „Das wird man auch in Städten und Gemeinden spüren“
Es gibt ein neues Europäisches Asylsystem: GEAS. Es soll im Juni 2026 starten. Das klingt nicht danach, dass Städte und Gemeinden schnell entlastet werden. Über welchen Zeitraum reden wir hier?
Ich denke, dass wir die ersten Ergebnisse unserer gemeinsamen europäischen Anstrengungen schon sehen. Die illegalen Grenzübertritte in die EU sind im ersten Halbjahr 2025 um 21 Prozent gesunken. Und 2024 hatten wir auch schon einen starken Rückgang im Vergleich zum Vorjahr. Auf der Balkanroute sogar um 95 Prozent in den letzten drei Jahren. Das verringert auch den Druck auf Deutschland. Dahinter steckt unsere Arbeit an dem europäischen Migrationsmanagement GEAS, das wir letztes Jahr beschlossen haben. Die Mitgliedstaaten bereiten gerade alles für den Start vor und wir wollen auch einige Elemente schneller umsetzen. Durch besseren Schutz unserer Außengrenzen, schnellere Asylverfahren und effektivere Rückführungen werden wir die jetzt insgesamt schon sinkenden Zahlen weiter senken. Und das wird man auch in Städten und Gemeinden spüren.
Ziel des Unmuts von Bürgern sind auch die Landratsämter im Allgäu. Diese Behörden stehen seit Jahren massiv unter Druck: Ihnen werden Geflüchtete zugewiesen, die sie in den Städten und Gemeinden unterbringen müssen. Gleichzeitig mangelt es überall an Wohnraum. Welche Lösungen gibt es hierfür?
Die Kommunen brauchen Planbarkeit. Deshalb müssen wir gemeinsam mit den zuständigen Mitgliedstaaten auch die Kontrolle über die Migration haben, und diese erlangen wir eben mit dem neuen GEAS und einer verstärkten Zusammenarbeit mit Drittstaaten. Damit sorgen wir für eine kontrollierte Aufnahme von Geflüchteten. Zudem stellen wir EU-Mittel bereit, etwa aus dem Asyl- und Integrationsfonds, um den Bau von Unterkünften und Integrationsprojekten vor Ort zu unterstützen. Und ich stehe in engem Austausch mit Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU), Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) und Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU), die die Herausforderungen in Süddeutschland sehr gut kennen, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln.
EU-Kommissar: Grenzkontrollen sollen nicht mehr nötig sein
Können Sie verstehen, dass Deutschland dem neuen Europäischen Asylsystem GEAS vorgegriffen hat und nun verstärkt an seinen Grenzen kontrolliert, um schneller unkontrollierte Migration einzudämmen?
Ich verstehe die Sorgen und Ängste der Bürgerinnen und Bürger. Wir möchten, und dieses Ziel eint uns mit allen Mitgliedstaaten, dass Grenzkontrollen nicht mehr notwendig sind. Dieses Ziel teilen wir auch mit der deutschen Bundesregierung. Dafür ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir den Pakt für Asyl und Migration so schnell wie möglich umsetzen. Ebenso muss der von der Kommission vorgeschlagene neue Rechtsrahmen für Rückführungen verabschiedet werden.
„Wir schaffen das“ - Haben wir es nicht geschafft?
Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat im Jahr 2015 mit Blick auf die Flüchtlingskrise gesagt: „Wir schaffen das.“ Heute kämpft das Land mit der Überlastung, die aus der Zahl an Geflüchteten resultiert. Haben wir es also nicht geschafft?
Deutschland hat in den vergangenen zehn Jahren viel geleistet. Das Land und seine Bevölkerung haben sehr vielen Menschen, die vor Krieg und Verfolgung geflohen sind, Schutz geboten und damit viel Verantwortung und Solidarität gezeigt. Zuletzt auch bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine. Dennoch muss es unser gemeinsames Ziel sein, die illegale Migration einzudämmen, und legale Wege der Migration finden. Das tun wir auch, wenn wir mit Drittstaaten verhandeln.
Zur Person
Magnus Brunner (53, ÖVP) ist seit dem 1. Dezember 2024 EU-Kommissar für Inneres und Migration. Zuvor war der geborene Vorarlberger in Österreich Bundesminister für Finanzen.
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