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Pflegenotstand und Fachkräftemangel im Allgäu: das sagen Verbände

Fachkräftemangel im Allgäu

Pflegeeinrichtungen wollen junge Leute für ein Jahr verpflichten

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    Der Pflegenotstand ist längst Realität, viele Einrichtungen kämpfen mit einem Mangel an Fachkräften. Allgäuer Vertreter von Wohlfahrtsverbänden machen jetzt eine Reihe von Vorschlägen, wie man dem Problem begegnen könnte.
    Der Pflegenotstand ist längst Realität, viele Einrichtungen kämpfen mit einem Mangel an Fachkräften. Allgäuer Vertreter von Wohlfahrtsverbänden machen jetzt eine Reihe von Vorschlägen, wie man dem Problem begegnen könnte. Foto: Patrick Pleul, dpa

    Längst geht es nicht mehr nur darum, laut zu sagen, dass es in der Pflege schlecht läuft. Dass es an Personal und Geld fehlt. Dieser Zeitpunkt sei längst überschritten, sagt Roland Hüber: „Wir können es nicht mehr schaffen.“ Der Geschäftsführer der Diakonie Allgäu hat mit Christine Lüddemann (Lebenshilfe Kempten) und Dr. Michael Knauth (Körperbehinderte Allgäu) ein Thesenpapier erarbeitet, das sich mit konkreten Vorschlägen an die Politik richtet. Es geht ihnen darum, dem Pflege-Brennpunkt Allgäu zu helfen.

    Sie fordern eine zeitlich befristete Ausnahmesituation, in der andere Regeln und Maßstäbe für die Pflege und Behindertenbetreuung gelten als sonst. Und zwar solange, bis die Krise durchgestanden ist. Das könnten zehn Jahre sein, vermuten sie. In der Politik solle dafür ein Krisenmanager eingesetzt werden: „Der könnte das Problem abmildern“ und schnell handeln, sagt Knauth. Die Geschäftsführer wollen ausdrücklich nur für ihre Branche und ihre Region sprechen. Woanders könne die Situation schon wieder ganz anders sein.

    • Die Personal-Situation: Die derzeitige Dramatik sei leicht zu erklären, sagt Knauth: „Die Schere zwischen Versorgungsbedarf und verfügbarem Personal wird größer.“ Mehr Menschen gehen in den Ruhestand, gleichzeitig kommen mehr in die Situation, selbst versorgt werden zu müssen. Doch es kommen weniger junge Menschen nach. Alle drei Geschäftsführer berichten von aktuellen Fällen, in denen der Fachkräftemangel bereits spürbar wird. Da ist die Ärztin, die sich nach der Arbeit um zwölf Menschen kümmert, die sonst niemanden haben. Da ist die Gruppe schwerbehinderter Kinder, die geschlossen werden musste. Da sind deshalb verzweifelte Eltern, die in ihrem eigenen Beruf die Stunden reduzieren müssen, um ihr behindertes Kind nun selbst versorgen zu können. Dann aber reicht das Geld für den Kredit nicht mehr. Und da sind Pflegeheime in der Region, die nur noch zu 80 Prozent belegt sind, weil 100 Prozent wegen zu wenig Personals nicht mehr möglich sind. „Stille Schließung“ nennt das Lüddemann.
    • Die Lösungen: Neben dem Wunsch nach mehr geeigneten Fachkräften aus dem Ausland schlagen die Geschäftsführer die Wiedereinführung des Zivildienstes vor. Und zwar nicht auf freiwilliger Basis, sondern verpflichtend (siehe auch Kommentare auf dieser Seite). Ausreichen werde das aber nicht. Nötig seien auch niedrigere Standards. Es gehe um die Frage, sagt Knauth, wie das noch Personal besser eingesetzt werden kann. Denn eines sei klar: Die Schere zwischen Bedarf und Personal lasse sich ohnehin nicht mehr schließen. Ein Problem seien die aktuellen Gesetze. Sie seien in einer Zeit verabschiedet worden, in der die Situation noch deutlich besser war. Die Pflegeexperten fordern, dass die Personalschlüssel an die Krise angepasst werden. Standards sollten aber nur punktuell herabgesetzt werden, nicht generell. Ein Beispiel sei die Quadratmeterzahl pro Patient. Wieder mehr Zweibett- statt Einbettzimmer beispielsweise. Wo es gesetzlich vorgeschrieben sei, dass nur Fachkräfte eine bestimmte Schicht übernehmen dürfen, sollten nach dem Vorschlag der Experten wieder Hilfskräfte zugelassen werden. Zudem sollten die formalen Vorgaben zur Dokumentation reduziert werden. Der Vorteil: Mehr Zeit für den Menschen, weniger für den Schreibtisch. Ein weiterer Punkt sei die Fachkräftequote: Diese liege meist bei 95 Prozent. „60 Prozent reichen aus“, sagt Lüddemann. Zudem kommt: Der Beruf des Altenpflegers sei etwa im Kinderbereich nicht als Fachkraft anerkannt. Das könnte geändert werden, sagen die Geschäftsführer.
    • Die Gesellschaft: Es gebe noch viele Stellschrauben, doch dazu brauche es auch das Engagement der Bevölkerung. Wieder mehr Selbstversorgung sei gefragt: „Wir möchten aber nicht zurück zum Niveau der 80er Jahre“, schränkt Lüddemann ein. Heißt: Frauen, die zu Hause pflegen, und Männer, die arbeiten, diese Rollenverteilung wolle man nicht. Aber Nachbarn, Freunde und Bekannte sollten sich gegenseitig wieder stärker unter die Arme zu greifen, lautet der Wunsch der Pflege-Experten.

    Ein Pro & Kontra unserer Redaktion zum Thema finden Sie hier.

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