Für die frühere Gärtnerin Ida Milz ist es wie ein zweiter Frühling: „Hier blühe ich richtig auf. Die netten Menschen, die herrliche Landschaft und die lieben Tiere“, sagt die 90-jährige Oberallgäuerin und streichelt Haflinger-Stute „Corinna“ durch die Mähne. Die Witwe ist fast jeden Tag zu Gast im Birkenmoos in Rettenberg (Kreis Oberallgäu). In einem früheren Stallgebäude befindet sich eine außergewöhnliche Einrichtung: Hier bietet der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) Tagespflege auf dem Bauernhof von Stephan, 32, und Anna-Maria, 31, Wohlfahrt an.
14 Gäste im Alter von 55 bis 95 Jahren, die einen rüstig, die anderen gebrechlich, verbringen in den lichtgefluteten Räumen und auf der Terrasse unbeschwerte Stunden. Die Gäste und das insgesamt achtköpfige Team duzen sich, die Atmosphäre ist heiter. „Wenn es gewünscht wird, holen wir sie mit dem Kleinbus am Morgen ab und fahren sie am Nachmittag wieder zurück“, sagt Einrichtungsleiter David Lässig. „Ich freue mich immer, hier zu sein“, sagt die kontaktfreudige Ida Milz. „Allein daheim würde ich eingehen wie eine Primel ohne Wasser.“ Auf dem Wohlfahrthof ist immer etwas geboten. An diesem Vormittag beispielsweise sitzen die Gäste im Freien, werfen sich gegenseitig einen Ball zu oder machen leichte Gymnastik mit einem Ring in der Hand. Wer will und körperlich in der Lage ist, kann auch die Pferde, Hühner oder Kühe auf dem Hof besuchen. Oder sich am Treiben der beiden Kater Sams und Hans-Peter erfreuen.
„Neue Kräfte tanken“; Senioren auf dem Bauernhof
„Ich hab hier alles, was ich brauche, und kann in der schönen Umgebung neue Kräfte tanken. Im Birkenmoos wird man gefordert und gefördert“, sagt der 73-jährige Robert Kleinschek schmunzelnd. Nach einem Schlaganfall im Frühjahr 2022 ist er derzeit auf einen Rollstuhl angewiesen. Doch das soll nicht so bleiben. „Ich habe noch so viel vor“, erzählt er. „Mein größter Traum ist eine Amerika-Reise mit meiner Frau. Dafür geb ich alles“, sagt der frühere Koch und Konditor.
Eine weitere Tagespflege eröffnete der Arbeiter-Samariter-Bund vergangenes Jahr im Färberhof in Immenstadt. Auch andere Träger, etwa die Johanniter oder die Allgäu Pflege, bieten eine solche Betreuung an. Das Konzept sollte aus Sicht von David Lässig noch viel öfter Schule machen. „Am schönsten wäre es, wenn jeder Ort so eine Einrichtung hätte.“ Schließlich klagten viele Menschen nach einem Schicksalsschlag oder im Alter über Vereinsamung: „Das kann dazu führen, dass sie regelrecht verkümmern.“ Die gemeinsamen Aktivitäten in der Gruppe – noch dazu in einem idyllischen Umfeld – könnten sich dagegen positiv auf den Gesundheitszustand auswirken. „Die Tagespflege füllt die Lücke zwischen ambulanter und stationärer Pflege“, erläutert David Lässig.
Lange Warteliste
Wie groß das Interesse ist, zeigte vor wenigen Wochen ein Hoffest mit über 500 Besuchern, bei dem sich etliche Gäste auch über die Tagespflege informierten. Die Warteliste ist gut gefüllt. Voraussetzung für einen Zuschuss der Krankenkasse ist ein festgestellter Pflegegrad, sagt Lässig. Je nachdem, in welchem Umfang sich die Krankenkasse beteiligt, variiert auf dem Birkenhof der Eigenanteil zwischen 23 und 65 Euro am Tag.
Der Arbeiter-Samariter-Bund steht als Mieter der Einrichtung stets im Kontakt mit der Landwirtsfamilie. „Wir geben allesamt aufeinander Obacht. Das klappt super“, sagt Stephan Wohlfahrt. Der junge Bauern sieht den Kontakt zu den Senioren als Bereicherung: „Mich interessieren ihre Geschichten von früher. Da erfahre ich selbst was über unsere Heimat“, erzählt er. „Man muss der Typ sein für so eine Einrichtung auf dem Hof.“
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