Früher, sagen wir vor 30 oder 40 Jahren, war Trampen selbstverständlich. „Daumen im Wind“ hieß denn auch einer der ersten Songs von Udo Lindenberg. Für die Jüngeren unter uns: Das war 1972!
Daumen im Wind sieht man heute im Straßenverkehr nur noch ganz selten. Dabei sitzt häufig nur einer in einem Pkw – der Fahrer, die Fahrerin. Und das, obwohl die Autos immer größer werden. Doch so langsam bewegt sich etwas: In immer mehr Gemeinden überlegen Kommunalpolitiker, wie Mitfahrmöglichkeiten organisiert werden können. Sogenannte Mitfahrbänkle gibt es beispielsweise schon im Westallgäuer Heimenkirch und in Wald in der Nähe von Marktoberdorf. Dort haben wir gestern einmal probiert, wie das funktioniert.
10 Uhr, es ist kalt an diesem Morgen. Minus vier Grad – das Hocken auf dem Mitfahrbänkle wärmt auch nicht auf. In der gut 1100 Einwohner zählenden Gemeinde hält sich der Verkehr an diesem Donnerstagvormittag in Grenzen. Dass der Wartende auf dem Holzbänkle in die Ostallgäuer Kreisstadt will, ist offensichtlich. Das Schild „Marktoberdorf“ ist ausgeklappt, für Vorbeifahrende soll dies bedeuten: Hier wartet jemand, der in die Kreisstadt will.
Etwa im Minutentakt kommen Autos vorbei in Richtung Marktoberdorf. Junge Fahrer, ältere Fahrerinnen, große Autos, kleine und alte Kisten: Aber keiner hält an. Platz wäre eigentlich überall genug. Meist sitzt nur einer in einem Wagen und die meisten Fahrer wollen wahrscheinlich bis in die Kreisstadt. Endlich: Nach ziemlich genau 25 Minuten hält ein VW-Bus. Am Steuer sitzt Karl Müller aus Rückholz (Ostallgäu). Freundlich lächelnd nickt er: „Ja, Sie können mitfahren!“ Er erzählt: Wenn jemand am Mitfahrbänkle wartet, hält er an und nimmt ihn mit. „Danke, super.“ Schon vorher hatte uns ein Bauhof-Mitarbeiter in Wald Hoffnung gemacht und unsere Zweifel zerstreut: „ Das funktioniert“, hatte er gesagt. Besonders gut natürlich dann, wenn man sich kennt. Und das sei in einem Dorf wie Wald logischerweise häufig der Fall. Generell gilt bei solchen Mitfahr-Modellen: Alles beruht auf Freiwilligkeit. Gemeinden übernehmen keinerlei Haftung. Die gesetzlich vorgeschriebene Haftpflichtversicherung eines Autos übernimmt Schäden, die Mitfahrern entstehen.
Das Mitfahrbänkle in Wald ist nur ein Teil eines beachtenswerten Mobilitätskonzepts: Außerdem gibt es einen „Vereinebus“, der bei der Gemeinde gebucht werden kann, und ein auf Nachbarschaftshilfe beruhendes Fahrservice-Angebot, bei dem Ehrenamtliche ältere oder hilfsbedürftige Menschen gegen eine geringe Aufwandspauschale fahren – beispielsweise zum Einkaufen oder zum Arzt.
Im Westallgäuer Heimenkirch können Bürger an fünf Bänken darauf warten, mitgenommen zu werden. „I-muss-nach-Bänkle“ heißt die Einrichtung. Von Studenten der Technischen Universität München seien die Bänke entworfen und geplant worden, sagt Bürgermeister Markus Reichart. In Heimenkirch können Autofahrer mit einem speziellen Ausweis auf dem Armaturenbrett ihres Wagens zudem signalisieren, dass sie Wartende mitnehmen. 60 Bürger hätten solche Karten angefordert, berichtet der Heimenkircher Hauptamtsleiter Anton Volkwein. Die Karte hinter der Windschutzscheibe soll auch signalisieren: Man darf den Autofahrer ansprechen, nach dem Ziel fragen und um eine Mitfahrgelegenheit bitten. Die Resonanz auf das Mitfahrangebot lasse noch zu wünschen übrig, bedauern Reichart und Volkwein. So sieht der Rathauschef die im Ort stehenden fünf Mitfahr-Bänke jetzt in erster Linie als „Leuchtturm-Projekte“. Sie sollten immer wieder daran erinnern, dass jeder Einzelne zu einem umweltfreundlicheren Mobilitätsverhalten beitragen kann. Heimenkirch will sich nun am Beispiel Ottobeuren (Unterallgäu) orientieren. Dort gibt es eine lokale Mitfahrzentrale im Internet. Wenn man so will: Ein digitaler Daumen im Wind.