Von Memmingen bis Oberstdorf, von Weiler bis Füssen – beim jährlichen Zusteller-Ausflug der Allgäuer Zeitung trafen sich über 600 Menschen, die Nacht für Nacht im gesamten Allgäu die Zeitung austragen. Viele von ihnen stehen bereits seit Jahrzehnten mitten in der Nacht auf, damit andere schon beim Frühstück ihre Zeitung lesen können. Was sie auf ihren nächtlichen Touren dabei erleben, ist nicht alltäglich.
Von Hirschen, Kaffee und Verfolgungsjagden
Irene Keller zum Beispiel trägt seit über zehn Jahren in Grünenbach bei Weiler die Zeitung aus und sagt: „Ich lieb‘s. Ich mach‘s mit wachsender Begeisterung.“ Eine Stunde ist die 60-Jährige von 4.15 Uhr an unterwegs. Dabei gefällt ihr besonders die nächtliche Stimmung und „dass ich den Leuten einen Service bieten kann.“ Normalerweise fährt sie mit dem Fahrrad, aber als sie einmal mit dem Auto unterwegs war, hat sie einen Hirschwechsel beobachtet: „Da sind bestimmt 20 Stück vor mir auf der Straße im Kreis gestanden. Und dann sind die Tiere wieder im Unterholz verschwunden.“ Eine Nachteule und einen jungen Wolf habe sie auch schon auf ihrer Zeitungstour gesehen. Und obwohl sie schon viele Jahre unterwegs ist, „schlechtes Wetter hat's echt nur selten.“


Bei Marktoberdorf brachte der Milchfahrer den Zeitungslesern viele Jahre lang die Zeitung – das ging dann nicht mehr. Stattdessen hat Josef Hengge kurzerhand das Zeitungsaustragen übernommen: „Damit meine Tante, die in der Gegend wohnt, ihre Zeitung auch weiterhin morgens um halb acht beim Frühstücken lesen kann“, erklärt der 69-Jährige. Ihm gefällt das frühe Aufstehen: „Da hat man dann noch richtig was vom Tag.“ Wenn es sich ergibt, hilft er seinen Kunden auch mal beim Möbel rein- und raustragen oder er wird auf einen Kaffee eingeladen.

Das passiert Magnus Eierstock in Roßhaupten bei Füssen normalerweise nicht. Um 0.30 Uhr startet der 71-Jährige seine Tour. Bis dahin bleibt er wach. Um 2.30 Uhr ist er mit seiner Runde meist fertig, sagt er: „Da treffe ich am Wochenende dann die jungen Leute, die vom Feiern nach Hause kommen.“ Seit über 20 Jahren trägt er die Zeitung aus, wenn andere Zusteller ausfallen – er ist ein sogenannter Springer. Einmal habe ihn jemand auf seiner Runde mit dem Auto verfolgt: „Aber der hat da gewohnt und wollte noch schnell die tagesaktuelle Zeitung haben, bevor er in den Urlaub gefahren ist“, sagt Eierstock und lacht.

Von Hunden, Dachsen und Heimatgefühl
Wolfgang Karrer nutzt das Zeitungsaustragen vor allem als Konditionstraining. Von 5 bis 6 Uhr morgens bringt er den Zeitungslesern in Eck an der Günz bei Memmingen die Nachrichten des Tages – und das schon seit über zehn Jahren. Dabei habe er nicht nur freundliche Hunde getroffen und wurde einmal beinahe vom Auto überfahren: „Aber da ist nichts passiert“, sagt der 71-Jährige, der sonst viel in den Bergen unterwegs ist.

Ljubow Hasenkampf kam 2004 von Russland nach Deutschland. Seit 2023 trägt sie die Allgäuer Zeitung in Kaufbeuren aus. Zwischen 2 Uhr und 4 Uhr ist sie dabei unterwegs – mal mit dem Auto, mal mit dem Fahrrad. Für sie das Außergewöhnlichste, was sie dabei mal erlebt hat? „Da habe ich zwei große Dachse vor mir über die Straße laufen sehen. Das war für mich das erste Mal, dass ich überhaupt welche gesehen habe“, sagt die 68-Jährige. Sie mag ihre Arbeit und möchte so lange Zeitungen austragen, wie es gesundheitlich für sie möglich ist.

Das gilt auch für Anne-Marie Greiner. „Für mich ist das Zeitungsaustragen Therapie zum Gesundwerden und Gesundbleiben“, sagt die 79-Jährige. Seit 43 Jahren trägt sie schon die Allgäuer Zeitung aus – früher in Altusried, heute in Kempten. Um halb vier steht sie jede Nacht auf. „Und wenn ich dann oben am Hügel steh und bei Mondlicht in die Berge schau, dann ist das Heimat für mich!“

Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden