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Baustellen-Chaos und marode Gleise: Bayerns Bahnstrecken im Ausnahmezustand

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„Es geht drunter und drüber“: Auf Bayerns Bahnstrecken herrscht Chaos

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    Da gibt es viel zu tun. Das Schienennetz der Bahn in Bayern ist marode. An vielen Stellen können die Züge nur noch langsam fahren.
    Da gibt es viel zu tun. Das Schienennetz der Bahn in Bayern ist marode. An vielen Stellen können die Züge nur noch langsam fahren. Foto: Jens Büttner, dpa

    Gäbe es einen Preis für Bayerns schlimmste Bahnstrecke, etwa eine „Rostige Schiene“, dann wäre die Linie von Donauwörth nach Nördlingen mit Sicherheit in der Endauswahl. Mängel an Gleisen und Weichen, Störungen aller Art, Baustellen-Chaos und Stellwerke ohne Personal, so dass sich Züge haufenweise verspäten oder gar ausfallen: Auf dieser Nebenstrecke sind viele Probleme zu sehen, die der Bahn bayernweit zu schaffen machen. Es gehe „drunter und drüber“, klagt Fabian Amini, der Chef des Unternehmens Arverio. Das ist jene Bahngesellschaft, die mit ihren Zügen von Donauwörth über Nördlingen bis nach Aalen in Baden-Württemberg fährt – auf dem Schienennetz der Deutschen Bahn (DB). Amini wundert sich, dass Arverio auf der Riesbahn überhaupt noch Fahrgäste hat. Riesbahn heißt die Strecke, weil sie durchs Nördlinger Ries führt.

    Wie schlimm es um das Streckennetz des Staatsunternehmens DB in Bayern bestellt ist, zeigt ein Blick in das tägliche Verzeichnis der sogenannten Langsam-Fahrstellen (La). Unserer Redaktion liegt die als „DB Intern“ gekennzeichnete La-Liste für Süddeutschland vom 24. September vor. Sie ist mit 204 Seiten so umfangreich wie kaum zuvor. In den vergangenen Jahren waren es, das zeigen Stichproben, so um die 160 oder 170 Seiten. „La“ bedeutet: Die Lokführer müssen hier abbremsen, etwa auf 70, auf 50 oder gar auf 20 Stundenkilometer, weil irgendetwas nicht in Ordnung ist. „Oberbaumangel“ wird oft als Grund genannt. Die Nördlinger Strecke steht mit den Nummern 16a und 16b in der La-Liste vom 24. September. Darin ist beispielsweise ein 400 Meter langer Streckenabschnitt zwischen Harburg und Möttingen genannt. Dort sind wegen eines Oberbaumangels maximal 20 Stundenkilometer erlaubt – damit nichts passiert. Und Arverio muss schauen, wie man damit zurechtkommt. Arverio ist ein Tochterunternehmen der Österreichischen Bundesbahnen und betreibt den Regionalverkehr auf mehreren Linien auch in Schwaben.

    Auf manchen Bahnstrecken sind nur 20 km/h erlaubt – damit nichts passiert

    Im La-Verzeichnis der DB kommen viele Linien in Schwaben und in ganz Bayern vor. Von Augsburg nach Memmingen etwa, und weiter zum Bodensee. Oder von München zum Bodensee. Oder von Günzburg nach Mindelheim. Und die Strecken nach Füssen beziehungsweise nach Oberstdorf sowie von Neu-Ulm nach Kempten. Das DB-interne Verzeichnis enthält zwar auch andere Besonderheiten, etwa Brücken ohne Geländer. Aber bemerkenswert ist schon, wie viele La-Stellen dort wegen Oberbau- oder Untergrund- oder Weichenmangel oder anderen Gründen wie „Signal- und sicherungstechnischer Mangel“ aufgeführt sind. Und gleich 101-mal heißt es in der La Süd vom 24. September: Zustand während Bauausführung oder nach Bauarbeiten. Weil irgendetwas dringend repariert werden muss, müssen die Züge langsam fahren.

    Fabian Amini, Geschäftsführer der Bahngesellschaft Arverio.
    Fabian Amini, Geschäftsführer der Bahngesellschaft Arverio. Foto: Hauke Seyfarth, Arverio

    Norbert Moy vom Fahrgastverband Pro Bahn hat ausgerechnet, dass sich in den La-Listen die Zahl der Einträge, in denen von „Oberbaumangel“ die Rede ist, seit Sommer 2024 um ein Drittel erhöht hat. Moy, Vorstandsmitglied von Pro Bahn in Bayern, spricht von einem „flächendeckenden Sanierungsfall“ beim Schienennetz. Jahrzehntelang haben der Staat und sein Unternehmen Deutsche Bahn große Teile des Netzes mangelhaft instand gehalten und regelrecht heruntergewirtschaftet. Lange ging das halbwegs gut. Aber jetzt reiht sich eine Baustelle an die andere, weil verschlissene Gleise und Weichen und andere Teile einfach nicht mehr halten. Manche „Gleislagefehler“, so der Fachjargon, lassen sich schnell beheben. Aber immer öfter müssen Strecken tage-, wochen- oder gar monatelang gesperrt werden. Eigentlich soll das mit System geschehen. Die Bahn will ihre Baumaßnahmen so bündeln, dass Zugbetreiber wie die eigene DB Regio, Arverio oder Agilis (fährt auf der Donaustrecke von Passau bis Ulm) ihre Fahrpläne frühzeitig umstellen können. Soweit die Theorie.

    Der Arverio-Chef klagt: „Man kann sich auf nichts mehr verlassen“

    Die Praxis ist eine andere. Innerhalb einer Woche habe es plötzlich zahlreiche Langsam-Fahrtstellen auf der Riesbahn gegeben, berichtet Andreas Wetzel von der Leitstelle bei Arverio. Das habe zu 45 Minuten Verspätung geführt. Damit der Fahrplan nicht ganz aus dem Takt gerate, habe man die Züge nicht mehr bis Aalen durchfahren, sondern vorzeitig wenden lassen. Inzwischen sind die meisten La-Stellen repariert. Ein weiteres Problem auf der Riesbahn war fehlendes Personal in den Stellwerken der Bahn, weshalb am frühen Morgen und später am Tag keine Züge fahren konnten. Und das monatelang. Im Herbst und im kommenden Jahr stehen wieder Bauarbeiten an. Der Arverio-Chef hofft, dass es der Bahn endlich gelingt, die Baustellen langfristig zu planen, so dass sich Zugbetreiber und Fahrgäste darauf einstellen können. So verspricht es die Bahn seit dem vergangenen Jahr. „Das würde uns das Leben leichter machen“, sagt er. Allein, ihm fehlt der Glaube. Es sei schwer, „noch Vertrauen in das System Schiene zu haben“, sagt Arverio-Chef Amini, der das Unternehmen demnächst auf eigenen Wunsch verlassen wird, und warnt vor den Folgen. „Das Baustellen- und Störungschaos hält auf Dauer keiner durch.“

    Mal dauern Baustellen kürzer, mal länger als geplant, mal verschieben sie sich kurzfristig. Oder eine Strecke wie die Riesbahn sei für Regionalzüge gesperrt, aber Fernzüge dürften dort fahren. Es sei „völlig verwirrend, was an welchem Tag wo an Nahverkehr geht, oder nicht“, rügt Amini. Dieses Hin und Her „setzt uns nahezu schachmatt. Man kann sich auf nichts mehr verlassen.“ Das nächste Chaos befürchtet der Arverio-Chef auf der Linie von Würzburg über Treuchtlingen nach Ingolstadt, wo ebenfalls viele Baumaßnahmen anstehen. So viele, dass die La-Listen der Bahn weiterhin sehr umfangreich ausfallen.

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