Bei den Paralympics, die vergangenes Wochenende in Pyeongchang begannen, stehen die 570 Sportler aus 49 Nationen bis zum 18. März im Mittelpunkt. Doch jenseits der Winterspiele werden Menschen mit Handicap oftmals nicht wahrgenommen. Die Arbeitslosenquote unter schwerbehinderten Menschen ist deutlich höher als die Nichtbehinderten. Dabei sind Firmen ab einer gewissen Größe sogar verpflichtet, Menschen mit Handicap einzustellen.
"Die meisten Unternehmen zahlen aber lieber eine gesetzliche Ausgleichsabgabe", sagt Michael Finger aus Oberstdorf, der seit 21 Jahren querschnittsgelähmt ist und im Rollstuhl sitzt. Es sei schwierig für einen Schwerbehinderten im Oberallgäu Arbeit zu finden. "Das kann ich nicht bestätigen", sagt Roman Martin aus Tiefenbach bei Sonthofen. "Ich habe nach der Mittleren Reife gleich einen Ausbildungsplatz bekommen." Auch er ist querschnittsgelähmt. Der 30-Jährige arbeitet als Industriekaufmann seit 14 Jahren in der Logistik-Abteilung der Firma Bosch in Seifen.
Die meisten Unternehmen zahlen lieber eine gesetzliche Ausgleichsabgabe als einen Schwerbehinderten einzustellen.Michale Finger aus Oberstdorf über seine schwierige Jobsuche
Künftig erhalten bayerische Unternehmen mehr Geld vom Freistaat, wenn sie behinderte Arbeitnehmer einstellen. Das sieht das bayerische Teilhabegesetz vor, das kürzlich in Kraft getreten ist. Der Freistaat hat dabei den vom Bund festgelegten maximalen Lohnkostenzuschuss um 20 Prozent erhöht.
Ausweg nur bei den Allgäuer Werkstätten?
Zahlen und Fakten
Private und öffentliche Arbeitgeber mit mindestens 20 Arbeitsplätzen sind gesetzlich dazu verpflichtet, auf mindestens
fünf Prozent
der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen.
Arbeitgeber, die dieser Vorgabe nicht nachkommen, müssen eine Ausgleichsabgabe zwischen
115 und 290 Euro
monatlich pro unbesetztem Pflichtarbeitsplatz zahlen.
Die Höhe dieser Abgabe ist abhängig von der Beschäftigungsquote im Unternehmen.
Die Arbeitslosigkeit in der Stadt Kempten und im Landkreis Oberallgäu belief sich im Jahr 2017 auf 3623 Personen (2016: 3939). Im vergangenen Jahr waren
319 Schwerbehinderte arbeitslos
, 2016 waren es 321.
In Deutschland leben
7,5 Millionen Schwerbehinderte
.
Die Arbeitslosenquote der Schwerbehinderten ist mit
13,4 Prozent mehr als doppelt so hoch
wie die allgemeine Arbeitslosenquote.
Im öffentlichen Dienst werden
6,6 Prozent Schwerbehinderte
beschäftigt, in der privaten Wirtschaft 4,1 Prozent.
Nur 40,2 Prozent aller Unternehmen erfüllen die Schwerbehindertenquote.
In Deutschland arbeiten rund 300 000 behinderte Menschen in Werkstätten, in
Sonthofen und Kempten
686.
Finger, der im Kreistag für die ÖDP sitzt, glaubt nicht daran, dass Unternehmen in Kempten und im Oberallgäu künftig mehr Schwerbehinderte einstellen, weil sie mehr Geld vom Staat erhalten. "Die meisten Schwerbehinderten werden auch weiterhin in den Allgäuer Werkstätten in Sonthofen und Kempten arbeiten", glaubt Finger. Besser als der Lohnkostenzuschuss wäre eine Person, die einen Schwerbehinderten zu Beginn seiner Tätigkeit im Betrieb begleitet und ihm zur Seite steht. In der Privatwirtschaft sei es schwierig, als Mensch mit Handicap eine Stelle zu finden.
Dagegen sei das Landratsamt diesbezüglich eine Ausnahme, sagt Finger. Dort arbeiteten 2016 insgesamt 39 Schwerbehinderte (Grad der Behinderung 50 Prozent und mehr), berichtet Pressesprecherin Brigitte Klöpf. Das entspricht einer Quote von 8,14 Prozent. Dazu kommen 18 behinderte Personen, die einen Behinderungsgrad von unter 50 Prozent haben.
Lehre und Arbeit verliefen stets reibungslos. Ich hatte nie Probleme.Roman Martin aus Tiefenbach über seinen Job bei Bosch
Finger hatte sich im Jahr 2000 bei mehreren Firmen in der Region für eine Bürotätigkeit beworben. Als er nach zahlreichen Bewerbungen schließlich eine Stelle gefunden hatte, wollte der Arbeitgeber eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU). "Ich war körperlich behindert und hatte keine psychischen Probleme", rechtfertigt sich der 47-Jährige. Deshalb habe er abgesagt. Mittlerweile hilft Finger anderen Behinderten, eine Beschäftigung oder Lehrstelle zu finden.
Bei Roman Martin lief's anders
Dies ist Roman Martin ganz ohne Hilfe gelungen. Nach einem landwirtschaftlichen Unfall im Alter von zwei Jahren ist der Tiefenbacher querschnittsgelähmt. Nach dem Besuch der Lehrstellenbörse in Kempten bewarb sich der damals 16-Jährige bei der Firma Bosch in Blaichach, wurde eingestellt und ließ sich dort zum Industriekaufmann ausbilden. "Lehre und Arbeit verliefen stets reibungslos. Ich hatte nie Probleme", sagt Martin. Die Einstellung bei Bosch sei vorbildlich abgelaufen. Ein Mitarbeiter, der ebenfalls im Rollstuhl saß, habe ihm gezeigt, wie er seinen Arbeitsplatz einrichtet, wie man mit dem Rollstuhl Aufzüge und Toiletten erreicht.
Diesen Service könne aber auch ein Ausbilder übernehmen, sagt Martin. Deshalb versteht er nicht, dass sich viele Betriebe schwertun, Behinderte einzustellen. "Arbeit ist doch ganz wichtig im Leben. Hier nimmst du am Leben teil und erfährst Wertschätzung", sagt Martin.