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Migration, Merz und das Christentum: Eine Zerreißprobe?

Migrationspolitik

Heftige Diskussionen in der Kirche um Friedrich Merz und Migration

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    Am Sonntag demonstrierten Zehntausende in Berlin für die „Brandmauer“, nachdem die Union unter Kanzlerkandidat Friedrich Merz in der vergangenen Woche eine Bundestags-Abstimmung mithilfe der AfD gewonnen hatte. Unter den Rednern: der frühere bayerische evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm.
    Am Sonntag demonstrierten Zehntausende in Berlin für die „Brandmauer“, nachdem die Union unter Kanzlerkandidat Friedrich Merz in der vergangenen Woche eine Bundestags-Abstimmung mithilfe der AfD gewonnen hatte. Unter den Rednern: der frühere bayerische evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm. Foto: Sebastian Christoph Gollnow, dpa

    Joachim Unterländer müsste eigentlich hin- und hergerissen sein. Zwischen Politik und Glauben. Zwischen Partei und kirchlichem Engagement. Zwischen dem harten Kurs beim Thema Migration der Union unter ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz – und seinen Überzeugungen. Es ist da inzwischen einiges zusammengekommen. Und sichtbar werden nun Risse, die es seit Längerem schon innerhalb der Union und innerhalb der beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland gibt, geht es um die Fragen: Wie politisch sollten die Kirchen, sollten Christinnen und Christen sein und sich verhalten? Und: Welche Bedeutung hat das „C“ für „christlich“ in ihren Partei-Namen überhaupt für CDU und CSU?

    Landeskomitee der Katholiken in Bayern wird bald einen Wahlaufruf veröffentlichen: Das ist sein Inhalt

    Es grummelt unter Gläubigen, es rumort in kirchlichen Verbänden. Ist Joachim Unterländer innerlich zerrissen? Er ist seit 1973 CSU-Mitglied. Bis 2018 war er Landtagsabgeordneter. Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist er zugleich im Präsidium des Landeskomitees der Katholiken in Bayern, seit 2017 dessen Vorsitzender. Er sagt im Gespräch mit unserer Redaktion: „Bei solchen großen gesellschaftlichen Themen kommt es immer wieder regelrecht zu Zerreißproben. Das macht einen nicht glücklich.“ Er vertrete in der Sache in diesem Fall vielleicht eine andere Meinung als mancher in der Kirche, sagt er. „Ich finde, wir müssen stärker über die Frage diskutieren: ,Wie viel Zuwanderung verträgt unsere Gesellschaft und wie können wir gelingende Integration schaffen?‘ Aus meiner Sicht kann man jedenfalls nicht von einer Zusammenarbeit der Union mit der AfD reden“. Unterländer sagt, dass er deshalb auch etwas unglücklich über die Aussagen der ZdK-Präsidentin sei.

    Joachim Unterländer war CSU-Landtagsabgeordneter und engagiert sich seit Jahrzehnten für das Landeskomitee der Katholiken in Bayern. „Aus meiner Sicht kann man nicht von einer Zusammenarbeit der Union mit der AfD reden“, sagt er.
    Joachim Unterländer war CSU-Landtagsabgeordneter und engagiert sich seit Jahrzehnten für das Landeskomitee der Katholiken in Bayern. „Aus meiner Sicht kann man nicht von einer Zusammenarbeit der Union mit der AfD reden“, sagt er. Foto: Matthias Balk/dpa

    Joachim Unterländer ist ebenfalls Mitglied im ZdK, dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Das ist das oberste katholische Laiengremium. Irme Stetter-Karp, dessen Präsidentin, hatte Friedrich Merz vorgeworfen, er verlasse „wissentlich in der Frage des Asylrechts den Boden des Grundgesetzes“. Merz verletze, sagte sie unserer Redaktion weiter, „aus offenbar wahlkämpferischen Motivationen den Grundsatz der Menschenwürde, die für alle gilt“. Tags darauf hatte sie per Pressemitteilung nachgelegt. Daraufhin beendete nach Informationen der Katholischen Nachrichten-Agentur vom Montag die frühere CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer ihre Mitgliedschaft im ZdK.

    In einem noch unveröffentlichten „Aufruf zur Bundestagswahl“, den das Präsidium des Landeskomitees der Katholiken in Bayern am 29. Januar einstimmig beschlossen hat und der unserer Redaktion vorliegt, heißt es nun: „Machen Sie durch Ihre Wahlentscheidung für eine demokratische Partei deutlich, dass rechts- oder linksextreme Parteien und radikale Gruppierungen, antisemitische Gesinnungen, spaltende Tendenzen und menschenverachtende Haltungen in unserer Gesellschaft keinen Platz haben“. Als Christinnen und Christen „ist unser Handeln vom christlich-biblischen Menschenbild geleitet“. Es gehe um den Schutz der Würde des Menschen, um die Solidarität mit den Schwächsten und um den Schutz der Lebensgrundlagen.

    Im Katholischen Deutschen Frauenbund herrscht offensichtlich großer Unmut

    CDU-Chef Merz hatte am vergangenen Mittwoch mithilfe von Stimmen der AfD einen Antrag im Bundestag durchgebracht, der die Bundesregierung unter anderem dazu auffordert, weitgehende Zurückweisungen an deutschen Grenzen zu veranlassen und diese dauerhaft zu kontrollieren. Für ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder soll es „zeitlich unbefristeten Ausreisearrest“ geben. Die Kritik aus Reihen der Kirchen reißt seitdem nicht ab, von einem „Tabubruch“ ist die Rede, vom Fall der „Brandmauer“, also der Abgrenzung der Union zur teils als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuften AfD. Doch auch kirchenintern wird kontrovers diskutiert. Unterländer sagt über Merz‘ Vorgehen: „Über Taktik lässt sich streiten.“ Er sagt: „Die Reaktionen, die wir jetzt aus der Kirche, aus kirchlichen Verbänden erleben, sind ein Spiegel der Gesellschaft.“

    Am Montag wurde zum Beispiel ein offener Brief von Mitgliedern des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB) verbreitet. In dem werden dessen Präsidentin und eine von dessen Vizepräsidentinnen – die Schwandorfer CSU-Bundestagsabgeordnete Martina Englhardt-Kopf – scharf kritisiert. Beide hatten in der vergangenen Woche im Bundestag für die striktere Migrationspolitik der Union gestimmt, zusammen mit der AfD. Damit hätten sie „den Unvereinbarkeitsbeschluss unseres Verbandes auf unerträgliche Weise ausgehöhlt“ und dem Verband „massiv geschadet“. In den letzten Tagen sei „bei vielen Menschen das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit des KDFB verloren gegangen“, steht in dem offenen Brief.

    Annegret Kramp-Karrenbauer hat offenbar ihre Mitgliedschaft im obersten katholischen Laiengremium ZdK beendet – wohl aus Verärgerung über Aussagen von dessen Präsidentin zur Migrationspolitik von Friedrich Merz.
    Annegret Kramp-Karrenbauer hat offenbar ihre Mitgliedschaft im obersten katholischen Laiengremium ZdK beendet – wohl aus Verärgerung über Aussagen von dessen Präsidentin zur Migrationspolitik von Friedrich Merz. Foto: Axel Heimken/dpa

    Bereits vor den Abstimmungen im Bundestag über Entschließungsantrag und „Zustrombegrenzungsgesetz“ waren die politischen Vertretungen von evangelischer und katholischer Kirche in Berlin in einer gemeinsamen Erklärung mit ungewöhnlich deutlichen Worten von Merz abgerückt: Dessen Pläne seien kein Beitrag zur Lösung der anstehenden migrationspolitischen Fragen. Dabei sprachen zumindest die deutschen katholischen Bischöfe nicht mit einer Stimme – die Erklärung war mit ihnen nicht abgestimmt.

    Regensburger Bischof Voderholzer hält „parteipolitische Positionierung von Bischöfen für falsch“

    Unter den wenigen von ihnen, die sich öffentlich zu der Stellungnahme äußerten, waren die katholisch-konservativen Bischöfe aus Regensburg und Eichstätt, Rudolf Voderholzer und Gregor Maria Hanke. Voderholzer halte, wurde er zitiert, „die parteipolitische Positionierung von Bischöfen für falsch“. Hanke erklärte, man solle „sehr zurückhaltend sein, im politischen Wahlkampf Zensuren zu verteilen“. Man kann das gleichwohl als ein Art Stilkritik auffassen, denn inhaltlich sind die in der Stellungnahme aufgeführten Positionen durchaus Konsens. Karl-Heinz Wiesemann, als Bischof von Speyer aus historischen Gründen Mitglied der „Freisinger Bischofskonferenz“, sagte, nur mit AfD-Unterstützung etwas durchzusetzen, sei „auch bei allem gegebenen Recht auf Sicherheit in unserem Land nicht notwendig“; die „Brandmauer hin zu extremen Positionen“ sollte nicht fallen.

    Die katholischen Bischöfe befinden sich allerdings in einem Dilemma. Vor fast genau einem Jahr in Augsburg wiesen sie einstimmig darauf hin, dass die Positionen der AfD unvereinbar mit dem Christentum seien – und die Partei für Christinnen und Christen nicht wählbar. Was aber, wenn die Union Stimmen der AfD in Kauf nimmt?

    Wesentlich klarer als sein Nachfolger als bayerischer evangelischer Landesbischof, Christian Kopp, positionierte sich am Sonntag Heinrich Bedford-Strohm. Der Weltkirchenrats-Chef sprach in Berlin bei einer Großdemo, bei der Zehntausende vom Reichstag vor die CDU-Zentrale zogen. „Man macht nicht gemeinsame Sache mit denen, die die Menschenwürde mit Füßen treten“, sagte er. Das Motto der Demonstration: „Aufstand der Anständigen – Wir sind die Brandmauer!“ Im NDR appellierte Bedford-Strohm an die christlichen Grundorientierungen von Merz und dessen Partei.

    Das „C“ gebe der Partei „Orientierung, Halt und Demut“, betonte Merz einmal

    Was diese betrifft, beobachtet ein Politologe und katholischer Publizist wie Andreas Püttmann, ein scharfer Merz-Kritiker, eine zunehmende Entfremdung. Im gemeinsamen Wahlprogramm von CDU und CSU für die Bundestagswahl spielen die Begriffe „Kirche“ oder „christlich“ keine hervorgehobene Rolle. Ein ausdrücklicher Gottesbezug fand erst spät ins neue CDU-Grundsatzprogramm. Joachim Unterländer, der engagierte Katholik und erfahrene CSU-Politiker, kritisiert: „Mir kommt in den Programmen, Wahl-Inhalten und Aussagen – mehr aufseiten der CDU als der CSU – zu wenig die katholische Soziallehre vor. Das ist wirklich ausbaufähig.“ Vor drei Jahren hatte es überdies eine Debatte über das „C“ in CDU gegeben – nach einer internen Analyse der Niederlage bei der Bundestagswahl 2021. Der Mainzer Historiker Andreas Rödder, zeitweise Vorsitzender der CDU-Grundwertekommission, hatte damals „gute Gründe für eine Flurbereinigung in der Namensfrage“ gesehen, fühlte sich jedoch missverstanden: Er habe nicht die Abschaffung des „C“ aus dem Partei-Namen gefordert.

    CDU-Chef Merz, den sein Biograf Volker Resing als einen praktizierenden Katholiken beschreibt, hatte dem widersprochen: Das „C“ gebe der Partei „Orientierung, Halt und Demut“ – „unser christliches Menschenbild bleibt“.

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