Staatsanwälte sind im Gegensatz zu Richtern nicht unabhängig, sondern weisungsgebunden. Die Ermittler unterstehen letztlich dem Justizministerium. Da ist es schon sehr ungewöhnlich, wenn Staatsanwältinnen und Staatsanwälte hohe Beamte des Justizministeriums in einem Strafverfahren vernehmen. So geschehen ist das in den vergangenen Wochen im Fall des Misshandlungsskandals in der JVA Augsburg-Gablingen.
Mehrfach haben sich Ermittlerinnen und Ermittler aus Augsburg auf den Weg nach München gemacht, um die hohen Justizbeamten zu befragen. Offiziell werden die Spitzenjuristen nicht als Beschuldigte, sondern als Zeugen geführt. Dennoch wurden sie nach Recherchen unserer Redaktion über ihr Auskunftsverweigerungsrecht nach §55 der Strafprozessordnung belehrt. Dieses Recht steht jedem zu, der durch die Beantwortung der Fragen in Gefahr käme, selbst strafverfolgt zu werden. Nach unseren Informationen hat keiner der Justizbeamten von diesem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Insgesamt wurde rund ein Dutzend Ministerialbeamte vernommen.
Schauen Sie sich dazu auch unsere Video-Doku über den Skandal um die JVA Gablingen an:
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Bayerns Justizminister Eisenreich wurde nicht von der Staatsanwaltschaft befragt
Darunter waren der frühere Amtschef des Ministeriums und der bisherige Leiter der Abteilung Strafvollzug. Dieser war erst vor Kurzem nach dem Skandal in der JVA Gablingen in eine andere Abteilung versetzt worden. Er war unter anderem deshalb in die Kritik geraten, weil er vergangenes Jahr einen brisanten Brief an die sogenannte Anti-Folter-Kommission geschrieben und diese aufgefordert hatte, „zukünftig von unangekündigten Besuchen abzusehen“. Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) distanzierte sich von dem Brief des Spitzenbeamten. Eisenreich selbst ist nicht von der Staatsanwaltschaft vernommen worden.

In den Vernehmungen ging es teils um brisante Fragen wie etwa: Wer wusste im Ministerium wann etwas von den Vorgängen im Gefängnis von Gablingen? Wurde die JVA hinreichend seitens des Ministeriums kontrolliert? Warum ergriff das Justizministerium nicht sofort selbst disziplinarische Maßnahmen?
Frühere Vizechefin der JVA Gablingen ist die Hauptbeschuldigte
Die suspendierte stellvertretende Anstaltsleiterin ist und bleibt die Hauptbeschuldigte im Gablinger JVA-Skandal. Die 37-jährige Juristin gilt den Strafverfolgern als Drahtzieherin der mutmaßlichen Misshandlungen von Gefangenen. Mit ihrem Dienstantritt in Gablingen Anfang 2023 soll sich vieles für die Gefangenen und einen großen Teil der Belegschaft zum Schlechten gewendet haben. Die Vize-Chefin soll zum Beispiel mit den Beschuldigten der sogenannten Sicherungsgruppe einen besonders engen Umgang gepflegt haben. Diese SIG wird gerufen, wenn es brennt, zum Beispiel, wenn Häftlinge gewalttätig gegenüber Mitgefangenen oder Bediensteten werden. In Gablingen soll die stellvertretende Gefängnischefin sich diese SIG als eine eigene Spezialtruppe nach ihren Vorstellungen herangezogen haben, ein Bediensteter spricht gegenüber unserer Redaktion von ihrer „Leibgarde“.

Die SIG-Leute sollen von der Juristin auffällig bevorzugt worden sein. Wie etliche Ex-Häftlinge und frühere Mitarbeiter berichten, soll die 37-Jährige sich auch ständig mit der SIG umgeben haben, auch beim Mittagessen. „Da wurde geschäkert wie auf einer Party“, sagt die ehemalige Anstaltsärztin Katharina Baur, die den Skandal mit ihren Aussagen mit ins Rollen gebracht hat. Sogar privat sei die Vize-Chefin mit Leuten aus der SIG befreundet gewesen. Ein Insider sagt, die JVA sei wie ihre Familie. Möglicherweise hat sie den Umstand ausgenutzt, dass die inzwischen freigestellte JVA-Leiterin Zoraida Maldonado de Landauer über einen längeren Zeitraum sehr viel aus dem Homeoffice gearbeitet hat.
Seit fast einem Jahr ermitteln die Augsburger Staatsanwaltschaft und die Kripo in dem Fall. Die Vorwürfe richten sich gegen mittlerweile 18 Bedienstete der JVA, darunter auch die frühere Gefängnischefin Zoraida Maldonado de Landauer.
Sieben Staatsanwälte und mehr als 20 Polizisten arbeiten an der Aufklärung des Gablingen-Skandals
Die Zahl der Ermittler ist im Fall der JVA Gablingen nun sogar noch aufgestockt worden. Sieben Staatsanwältinnen und Staatsanwälte beschäftigen sich nach Recherchen unserer Redaktion mit der Aufklärung des Gefängnisskandals – zwei davon ausschließlich. Bei der Polizei wurde die Zahl der Beamten für den Fall Gablingen auf mehr als 20 erhöht, bestätigte das Polizeipräsidium Schwaben Nord auf Anfrage. Denn es gibt noch viel zu tun. Neben einer mittlerweile hohen zweistelligen Zahl von Vernehmungen gilt es, 40.000 Handychats auszuwerten, die innerhalb der vorwiegend beschuldigten Sicherungsgruppe (SIG) kursiert sind. In den Chats gibt es nach Informationen unserer Redaktion eindeutige Belege für gewalttätige Übergriffe von Beamten auf Häftlinge.
Die Ermittlungen zum Gablinger JVA-Skandal könnten im Herbst abgeschlossen sein. Dann wird die Staatsanwaltschaft wahrscheinlich Anklage erheben, vermutlich zuerst gegen die frühere Gefängnisleiterin, ihre Stellvertreterin und den ebenfalls suspendierten früheren Leiter der SIG.
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