
Für Imker Franz Navratil (48) war es eine besondere Herausforderung. Im Mai 2018 brachte er erstmals Bienenstöcke mit einem Transporter auf über 1.100 Meter Höhe. In vorgefertigten Holzpodesten in der Nähe der Breitengehrenalpe fanden sie ein neues Zuhause. Möglich wurde das Projekt durch Manfred Kurrle, den Gründer der Naturschutz-Stiftung Allgäuer Hochalpen. Das Gebiet umfasst das vormals königliche Alp- und Forstgut Einödsbach mit einer Fläche von rund 1.000 Hektar. "Vielerorts ist der Lebensraum für Bienen heute leider knapp. Nicht so bei uns in den Bergen. Da ist genug Platz", begründet Kurrle seine Motivation.
Der Sommer in den Alpen begeisterte die Summer auf Anhieb. "Die sind sofort ausgeschwärmt und haben Pollen gesammelt", erinnert sich Navratil, der zu den heute nur noch 500 Berufs-Imkern in Deutschland zählt. Ohne seine langjährige Erfahrung hätte sich der Imker-Meister wohl kaum an das Projekt gewagt.

Das Halten von Bienen in den Bergen ist sehr selten, da es mit großem Aufwand verbunden ist und viel Know-how vorrausetzt. Navratil bringt dieses mit. Mit 14 Jahren hat er mit der Imkerei angefangen. Und sie hat ihn schon an einen besonderen Ort geführt: Als junger Mann arbeitete er auf einer Bienen-Farm im südafrikanischen Busch. Obwohl er unheimlich viel über Bienen weiß, war es für ihn spannend, wie sich seine Völker in den Oberstdorfer Bergen entwickeln.
Alle zehn Tage fuhr Navratil von seinem Wohnort Altusried-Krugzell in die Oberstdorfer Berge, um sich vom Zustand der fleißigen Hautflügler zu überzeugen. "Wie geht es ihnen? Ist Honig da? Brauchen sie neuen Platz?" Fragen wie diesen ging er bei seinen Besuchen nach. Das Ergebnis überzeugte.
Die Bienen genossen - nach ihren Blüteflügen im Frühjahr im Tal - sozusagen ihren zweiten Frühling in den Bergen. "Die Vegetation ist in der Höhe ja erst ab Mai so weit, dass Bienen von Blüte zu Blüte fliegen können, um Pollen und Nektar zu sammeln", erklärt Navratil. "Jetzt steuerten sie Pflanzen an, die sie bis dato noch gar nicht kannten." Dazu zählen beispielsweise Gelber Enzian oder Alpenrose. Besonders freuten sich die Bienen über die teils uralten Bergahorn-Bestände auf dem Gebiet der Naturschutzstiftung. "Für Bienen ist das eine unwahrscheinlich wichtige Pflanze", erklärt Navratil.

Vom Geschmack des im Vorjahr erstmals gewonnenen Gebirgsblütenhonig ist der Experte angetan: "Speziell die Alpenrose macht sich bemerkbar. Der Berg-Honig ist heller und er zeichnet sich durch ein besonderes Aroma aus." Angespornt vom Erfolg des "ersten Jahrgangs" ging das Projekt heuer in die zweite Runde. 50 Bienenvölker (ein Volk umfasst um die 60.000 Bienen) von Franz Navratil haben im Sommer in der Nähe der Breitengehrenalpe ein Zuhause; 4 weitere Völker nahe der knapp 1.300 Meter hoch gelegenen Petersalp. Für Wanderer wurde ein Bienenlehrpfad mit vielen Informationen eingerichtet.
Nach dem "Alpsommer" werden die Bienen im September wieder ins Tal befördert und verbringen die Herbst- und Wintermonate auf der "Honig Farm Allgäu", die Franz Navratil an seinem Wohnort Krugzell betreibt.
Ob sich neben dem traditionellen Viehscheid im Allgäu auch ein "Bienenscheid" zum Ende des Alpsommers etabliert, steht noch in den Sternen. Grund zum Feiern hat in jedem Fall die Natur. Denn die Bienen tragen ihren Teil zum Schutz und Erhalt der Artenvielfalt auf dem Gebiet der Naturschutzstiftung bei. Bislang sind die dortigen Pflanzen auf einer Höhenlagen über 1.000 Meter auf den Wind oder auf Bestäubungsinsekten wie Hummeln oder Schmetterlinge angewiesen. Der Einsatz von Bienen belebt die Flora. "Viele Pflanzen, wie beispielsweise Brombeeren oder Himbeeren, werden davon profitieren. Das wiederum freut viele Insekten und Vögel und wirkt sich somit auf die gesamte Nahrungskette aus."
Während der Lebensraum für Bienen in Städten und Regionen mit Monokulturen immer mehr verschwindet, macht sich Experte Navratil über die Bienen-Bestände speziell im Oberallgäu übrigens keine Sorgen: "Durch die vielen Grünlandbauern ist die Welt bei uns noch in Ordnung. Ohne ihre Arbeit gebe es weder Löwenzahn, keinen Wiesenbärenklau und kein Wiesenschaumkraut, auf die unsere Bienen bauen können."
Dass seine Bienen nun obendrein in die Berglüfte aufsteigen und Gebirgshonig produzieren, sieht er als Bereicherung für Tier, Natur und Mensch.