Es ist schon eine kleine Tradition, dass die Linke Kandidatinnen oder Kandidaten zur Wahl des Bundestagspräsidenten aufstellt, die den Charme des Besonderen und Authentischen haben: So war es 2009, als der populäre Schauspieler und Theaterintendant Peter Sodann vor die Bundesversammlung trat, drei Jahre später ging die als Nazijägerin bekannt gewordene Beate Klarsfeld ins Rennen und 2017 der Armutsforscher Christoph Butterwege. Am 13. Februar wird sich der Sozialmediziner Gerhard Trabert zur Wahl stellen.
Glühendes Engagement für sozial Schwache
Der 65-Jährige wird wie seine Vorgänger chancenlos sein, aber auch diese Kandidatur ist klug gewählt. Denn selbst Gegner des gebürtigen Mainzers werden ihm nicht absprechen können, dass sein glühendes Engagement für sozial Schwache keinesfalls wohlfeil ist. Trabert arbeitet seit vielen Jahren an der Basis. Der ausgebildete Notfallmediziner sucht in Mainz Obdachlose mit seinem Arztmobil auf, kreuzte auf Seenotrettungsbooten im Mittelmeer, um Schiffbrüchige zu retten, oder organisierte Hilfsgüter für Menschen im Norden Syriens.
Bereits 1997 gründete er den Verein „Armut und Gesundheit“. Bundesweit Beachtung fand 2013 seine Initiative für das Projekt „Ambulanz ohne Grenzen“ – eine Poliklinik, in der Menschen behandelt werden, die nicht krankenversichert sind. Sein Einsatz für die Schwachen in der Gesellschaft brachte ihm viele Auszeichnungen ein. Bereits 2004 erhielt er das Bundesverdienstkreuz.
Als Kind besuchte Trabert oft das Waisenheim, in dem sein Vater tätig war
Mit Themen wie Verlust, Einsamkeit und Existenzängsten kam Trabert bereits in seiner Kindheit intensiv in Berührung. Immer wieder besuchte er das Waisenhaus, in dem sein Vater als Erzieher tätig ist. Er studierte Sozialpädagogik, dann Humanmedizin.
Mehr als ein Ausgleich war in dieser Zeit die Leichtathletik. Der talentierte 400-Meter-Läufer sammelte bei den Junioren im Nationalteam sogar Medaillen – unter anderem Silber bei der Europameisterschaft 1975.
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Arbeit und Engagement politisierten Trabert und führten ihn zu einer grundlegenden Kritik an den Verhältnissen in Deutschland, ja weltweit. „Neues schaffen heißt Widerstand leisten. Widerstand leisten heißt Neues schaffen“, so zitierte der Vater von vier Kindern 2016 in einem Interview mit dem Wiesbadener Stadtmagazin Sensor den französischen Philosophen Stephane Hessel. „Ich kann und werde aufgrund meiner Erfahrungen und meiner Biografie Unterdrückungsstrukturen nicht akzeptieren. Ich setze diesem dominanten Kapitalismus, diesem Leistungsdenken, dieser Ausgrenzung etwas entgegen“, fügte er kämpferisch hinzu.
Die soziale Ungleichheit in Deutschland nannte er einmal die „Mutter aller Probleme“. Sätze, die gut zum Selbstverständnis der Linken passen, für die er als Parteiloser 2021 schließlich in Mainz für die Bundestagswahl antrat. Beachtliche knapp 13 Prozent reichten nicht für den Einzug ins Parlament.
Traberts Vergleich mit dem Schicksal der Juden brachte ihm viel Kritik ein
Jetzt immerhin bereitet er sich auf seinen Auftritt in der Bundesversammlung vor, die in knapp einem Monat das Staatsoberhaupt wählen wird. Dabei musste Trabert erfahren, dass Vergleiche mit den Zeiten des Nationalsozialismus auf großer Bühne ins Auge gehen können. Dass er die Situation von sozial Ausgegrenzten oder Menschen auf der Flucht mit dem Schicksal der Juden im Dritten Reich in Verbindung brachte, löste scharfe Kritik aus.
Nach dem 13. Februar wird Gerhard Trabert wieder mehr Zeit haben – auch für die Obdachlosen in Mainz, von denen er viele persönlich kennt.
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