Die EU-Staaten wollen endlich mehr Tempo beim Impfen gegen das Coronavirus. Kanzlerin Angela Merkel und die anderen Staats- und Regierungschefs stritten am Donnerstag bei einer Videokonferenz allerdings stundenlang über die Verteilung des knappen Impfstoffs. Bei Gesprächen zur Türkei wurde vereinbart, dem Land wegen der Entspannung im Erdgasstreit eine engere Partnerschaft in Aussicht zu stellen. Mit einem digitalen Kurz-Besuch von US-Präsident Joe Biden wurde zudem der Neustart der transatlantischen Beziehungen gewürdigt.
Impfstoff: Die Lieferungen sollen an Fahrt aufnehmen
Derzeit gibt es zu wenig Impfstoff in der EU - bald schon soll das Impfen aber Fahrt aufnehmen. In den nächsten drei Monaten solle gut dreimal so viel Impfstoff kommen wie seit Jahresbeginn, machte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen klar. Bislang sind von den knapp 450 Millionen EU-Bürgern 62 Millionen mindestens einmal geimpft worden, 18,2 Millionen Menschen zweimal. Die EU-Staaten sollen bis zum 31. März rund 100 Millionen Impf-Dosen erhalten. Für die Monate April bis Juni haben Pharmakonzerne 360 Millionen zugesagt.
Knapper Impfstoff sorgt für Streit
Der knappe Impfstoff sorgte für stundenlangen Streit. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz und andere beharren darauf, dass einige Länder zusätzliche Dosen bekommen sollen. Zusammen mit Bulgarien, Kroatien, Lettland, Slowenien und Tschechien beklagt Kurz eine ungleiche Verteilung. Den gesamten Nachmittag über stritten die 27 Staaten. Wenn es keine Lösung gebe, könne das einen Schaden für die EU nach sich ziehen, "wie wir es schon lange nicht erlebt haben", hatte Kurz vor dem Gipfel gesagt.

Das Ungleichgewicht bei der Impfstoffverteilung liegt daran, dass nicht alle EU-Staaten die ihnen nach Bevölkerungszahl zustehenden Mengen gekauft haben. Die Lieferschwierigkeiten von Astrazeneca werfen einige Staaten zurück. Österreich dürfte in Rückstand geraten, weil es sein Kontingent des Impfstoffs von Johnson & Johnson nicht ausgeschöpft hat, das ab Mitte April geliefert werden soll.
EU kommt Türbei entgegen
Die Türkei war im vergangenen Jahr ein schwieriger Partner für die EU: Erdgasstreit, Sorgen um Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte beherrschten das Verhältnis. Dennoch entschieden die 27 Staaten am Donnerstag, mit den Vorbereitungen für eine Ausweitung der Zollunion zu beginnen. Dies könnte etwa den Handel im Agrar- und Dienstleistungsbereich ankurbeln. Auch eine Visaliberalisierung wurde Ankara indirekt in Aussicht gestellt. Dies ist vor allem eine Reaktion darauf, dass die Türkei die umstrittenen Erdgaserkundungen in der Nähe von griechischen Inseln und vor Zypern beendet hat.
Unabhängig vom Erdgasstreit will der Staatenblock die Zusammenarbeit in der Migrationspolitik stärken. Der EU geht es vor allem darum, dass Ankara gegen unerwünschte Einwanderung in die EU-Staaten vorgeht. Als Anreiz dafür soll die EU-Kommission weitere Finanzhilfen für die Versorgung von syrischen Flüchtlingen vorbereiten.
Euro-Staaten wollen Gemeinschaftswährung international stärken
EZB-Chefin Christine Lagarde sieht im europäischen Corona-Aufbauplan eine Chance zur Stärkung des Euro als Weltwährung. Bisher sei der US-Dollar dominant, weil die amerikanischen Finanzmärkte stärker integriert und liquider seien als der Kapitalmarkt im Euroraum, sagte die Präsidentin der Europäischen Zentralbank nach Angaben von Teilnehmern am Donnerstagabend beim EU-Gipfel.
Das Corona-Programm "Next Generation EU" sei ein großer Fortschritt, da Euro-Anlagen in hoher Qualität ausgegeben würden. Auch die starke Rolle des Euro bei grünen Geldanlagen stärke die Währung international. Zum wirtschaftlichen Ausblick bekräftigte Lagarde die Unsicherheit durch die Pandemie und die Lockdowns. Es sei wichtig, dass der Wiederaufbau-Fonds schnell starten könne und wirksam genutzt werde.
Währung international mehr Gewicht verleihen
Die Euro-Staaten verabschiedeten eine Erklärung, in der sie sich dazu bekennen, der gemeinsamen Währung international mehr Gewicht zu verleihen und einer "strategischen Autonomie" in der Wirtschaftspolitik näher zu kommen. Voraussetzung für eine starke Rolle des Euro in der Welt sei eine nachhaltige Erholung von der Krise. Der milliardenschwere Corona-Fonds sei das entscheidende Mittel, um Reformen voranzubringen und Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung zu finanzieren.
Zuvor hatte der Bundestag eine wichtige Entscheidung für das Corona-Aufbauprogramm gefällt: Die Abgeordneten billigten die Rechtsgrundlage, damit die EU-Kommission die dafür benötigten 750 Milliarden Euro Schulden aufnehmen kann. Das Paket mit Wiederaufbauhilfen war bereits im Sommer 2020 verabredet worden, es ist aber noch nicht startklar. Derzeit arbeiten Deutschland und die übrigen EU-Staaten an Plänen, wohin das Geld fließen soll. Sie sollen bis Ende April vorliegen.
US-Präsident Joe Biden als Gast
Das transatlantische Bündnis hat in den vergangenen Jahren heftig gelitten. Als Zeichen des Neustarts schaltete sich am Abend der neue US-Präsident Joe Biden dazu. Lange sollte der Austausch nicht dauern, wie es im Vorfeld hieß. Dem Weißen Haus zufolge wollte Biden das transatlantische Verhältnis, den Kampf gegen die Pandemie und gegen den Klimawandel ansprechen, aber auch außenpolitische Fragen etwa mit Blick auf Russland oder China.
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