Ob Grün auch für die gebeutelte deutsche Landwirtschaft die Farbe der Hoffnung ist, wird sich in dieser Woche zeigen. Beim Agrarkongress des jetzt von der Grünen Steffi Lemke geführten Bundesumweltministeriums spricht auch der neue grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir.
Mit einer Mischung aus Bangen und Hoffen blickt die Branche auf die Veranstaltung, die in den vergangenen Jahren dem Umweltressort vor allem dazu diente, gegen die offizielle Agrarpolitik zu sticheln. Die wurde, verkürzt gesagt, als Zumutung für Umwelt und Klima empfunden. Özdemirs Vorgängerin Julia Klöckner (CDU) nahm an dem Kongress nie teil, ihr Verhältnis zur früheren Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) war eher von Rivalität und Blockade als Zusammenarbeit geprägt.
Jetzt sind alle Ministerien, die für die Landwirtschaft maßgeblich sind, in grüner Hand, auch Robert Habeck als Superminister für Klimaschutz hat ein Wörtchen mitzureden. Das könnte einerseits lang verschleppte Reformen erleichtern. Andererseits fürchten viele Bäuerinnen und Bauern, dass sie nun vom stolzen Ross der Weltrettung herab mit kaum erfüllbaren Forderungen überzogen werden.
Gratwanderung für den neuen Agrarminister Cem Özdemir
Özdemir steht also eine Gratwanderung bevor. Wenn er die Erwartungen zu hoch in grüne Sphären schraubt, wird der Frust auf den Höfen größer, am Ende werden immer mehr aufgeben. Soll die Landwirtschaft das Klima retten, muss die Politik erst mal die Landwirtschaft retten.
Nun klebt am Sozialpädagogen Özdemir der Makel, mit Viehzucht und Ackerbau, mal abgesehen von den Cannabis-Stauden auf dem Balkon, wenig am Hut zu haben. Das Landwirtschaftsministerium hat zudem in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter an Gewicht und Einfluss verloren. Doch Özdemir, der sich als pragmatischer und lebensnaher Politiker erwiesen hat, könnte es durchaus gelingen, aus den begrenzten Möglichkeiten viel herauszuholen – für Klima und Landwirtschaft.
Den klimafreundlichen Umbau der Industrie und die energetische Sanierung der Gebäude will die Ampel ja mit vielen Milliarden Euro fördern. Genauso entschlossen sollte sie sich zur Unterstützung der Landwirtschaft bekennen. Özdemir muss dafür schnell konkrete Antworten auf drängende Fragen liefern: Was kann, was muss die Politik tun, damit sich die Mehrinvestition für einen besonders tiergerechten Stall auch langfristig lohnt?
Wie können Windkraft und Solarenergie noch stärker beitragen, bäuerliche Existenzen zu sichern? Welche Unterstützung ist nötig, damit der Umstieg auf einen nachhaltigeren Pflanzenbau gelingt? Mehr Tierwohl, weniger Chemie auf Äckern und Wiesen, ein Wirtschaften im besseren Einklang mit der Natur, das wünschen sich ja auch die allermeisten Landwirte. Nur muss sich das einigermaßen lohnen, auch der nächsten Generation, die oft mit der Hofübernahme zögert, Auskommen und Perspektiven bieten. Der Verbraucher aber ist preisbewusst.
Die Grünen und die Bauern – aus dieser verkorksten Beziehung könnte noch was werden
Wenn die Grünen nicht als arrogante Forderer, sondern als Förderer kommen, werden ihnen die Hoftore offen stehen. Hätten CDU und CSU ihren Anspruch, Schutzmacht der Landwirtschaft zu sein, konsequent gelebt, Missstände nicht achselzuckend auf "Brüssel“ geschoben, stünde der Agrarsektor heute besser da.
Die Grünen und die Bauern – aus dieser verkorksten Beziehung könnte doch noch was werden. Dafür aber müssen sich die Öko-Politiker nicht nur um klare Perspektiven, sondern auch um mehr gesellschaftliche Anerkennung für die Landwirtschaft bemühen. Mit dem Generalverdacht aus der grünen Ecke, der Agrarsektor sei Feind der Bienchen und Blümchen, muss endlich Schluss sein.
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