Wer vor Januar 2017 pflegebedürftig geworden ist, wurde zu Beginn in eine der drei Pflegestufen eingeordnet. Erst mit dem Pflegestärkungsgesetz II wurden ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff sowie die Pflegegrade von 1 bis 5 eingeführt. Auch die Begutachtung durch den Medizinischen Dienst (MD) läuft nun nach anderen Kriterien ab. Wo früher der Zeitaufwand ausschlaggebend war, stehen heute Selbstständigkeit und Fähigkeiten der pflegebedürftigen Person im Vordergrund.
Weil andere Kriterien für die Einstufung relevant sind, lassen sich die Pflegestufen von damals nicht einfach in die heutigen Pflegegrade umwandeln. Das hat sich zumindest ein Versicherer zunutze gemacht.
Wie das Portal versicherungsbote.de berichtet, handelt es sich in dem Fall um Leistungen aus einer Existenzschutzversicherung, die laut Police erst ab der Einstufung in eine Pflegestufe greifen. Mit der Umstellung auf Pflegegrade wurde der Tarif nicht angepasst und der Versicherer verweigerte die Leistung – weil die Bedingung „Pflegestufe“ nicht erfüllt sei. Am 20. August 2025 hat der Bundesgerichtshof (BGH) ein für die Praxis bedeutsames Urteil gefällt. Worum geht es?
Pflegegrad statt Pflegestufe: Versicherer pocht mit alter Regelung auf Leistungsfreiheit
In dem Fall, der nun vor dem BHG verhandelt wurde, ging es dem Urteil (Az.: IV ZR 164/23) zufolge um eine Erwachsenen-Existenzschutzversicherung, die der Kläger im Oktober 2011 abgeschlossen hatte. Greifen sollte die Versicherung unter anderem, wenn eine „Pflegestufe gemäß Sozialgesetzbuch (SGB)“ festgestellt wurde. In der Versicherungspolice gilt demnach als Voraussetzung einer monatlichen Rente bei Pflegebedürftigkeit Folgendes: „Die versicherte Person erhält auf Grund eines Unfalles oder wegen einer während der Vertragslaufzeit aufgetretenen oder diagnostizierten Krankheit eine Einstufung der Pflegestufe I, II oder III nach SGB.“ Zudem seien für die „Leistungsabwicklung ausschließlich diese Bewertungsmaßstäbe maßgebend“.
Die Voraussetzungen für eine Einstufung in eine der drei Pflegestufen waren dem BGH zufolge bis einschließlich 31. Dezember 2016 in § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI geregelt. Zum 1. Januar 2017 traten die Pflegegrade von 1 bis 5 an ihre Stelle. Auch der Gesetzestext wurde entsprechend angepasst. Dem ist die beklagte Versicherung nicht gefolgt. Die Bedingungen im Tarif des Klägers wurden laut dem Urteil nicht überarbeitet.
Der Kläger wurde am 30. November 2017 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. Der zuständige Gutachter stufte den Mann bei der Feststellung auf Pflegebedürftigkeit in Pflegegrad 2 ein. Daraufhin beantragte der Kläger eine Pflegerente aus seiner Existenzschutzversicherung. Diese berief sich allerdings auf Leistungsfreiheit, da der Mann die Voraussetzungen für eine Pflegestufe nicht erfüllte. Er zog vor Gericht und könnte nun Recht bekommen.
Egal, ob Pflegegrad oder Pflegestufe? So hat das BHG entschieden
Der Kläger forderte vor Gericht eine Zahlung in Höhe von 48.000 Euro sowie Zinsen und ab Juli 2020 eine monatliche Rente in Höhe von 1500 Euro bis zu seinem Tod. In erster und zweiter Instanz hatte der Mann laut dem BGH nur teilweise beziehungsweise keinen Erfolg. Im Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof wurde der Fall zwar nicht endgültig geklärt und an das Berufungsgericht, das Oberlandesgericht Frankfurt, zurückgegeben, trotzdem hat der BGH eine wichtige Einordnung gegeben: Es lag eine planwidrige Regelungslücke vor und die hätte behoben werden müssen.
Was bedeutet das? Laut versicherungsbote.de gingen 2011, als der Vertrag geschlossen wurde, beide Parteien selbstverständlich davon aus, dass Pflegestufen die verbindliche Grundlage für eine Pflegebedürftigkeit sind. Die Gesetzesänderung hin zu Pflegegraden sei nicht vorhersehbar gewesen. Damit sei es nicht zulässig, das Leistungsversprechen bei Pflegebedürftigkeit ins Leere laufen zu lassen. Vielmehr hätte eine ergänzende Vertragsauslegung erfolgen und die entscheidende Frage beantwortet werden müssen: Was hätten die Parteien vereinbart, wenn sie die damalige Pflegereform vorausgesehen hätten?
Im Urteil des BGH betont der Richter, dass die frühere Pflegestufe I nicht automatisch mit Pflegegrad 2 gleichzusetzen ist. Denn mit der Reform von 2017 wurde der Pflegebedürftigkeitsbegriff deutlich erweitert, weshalb nun insbesondere psychische und kognitive Einschränkungen schneller zu einer Pflegebedürftigkeit führen. Würde man Pflegestufen mit Pflegegraden gleichsetzen, könnte das dem BGH zufolge zu einer erheblich veränderten Kalkulation aufseiten des Versicherers führen – weil deutlich mehr Menschen Anspruch auf Leistungen hätten.
Ob ein Anspruch besteht, müsse daher im Einzelfall geprüft werden. Gegebenenfalls müssten Sachverständige laut versicherungsbote.de prüfen, ob der gesundheitliche Zustand nach altem Recht einer Pflegestufe entsprochen hätte. Was dem BGH zufolge aber nicht geht: Versicherer können sich nicht mit Leistungsfreiheit herausreden, weil es inzwischen keine Pflegestufen mehr gibt. Altverträge, die sich noch auf Pflegestufen beziehen, müssen daher geprüft werden, da sie in der Praxis zu Problemen führen können.
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