In Deutschland leben derzeit rund fünf Millionen pflegebedürftige Menschen. Sie werden von Angehörigen, ambulanten Pflegediensten oder in Pflegeheimen versorgt und erhalten für die nötige Pflege Leistungen von der Pflegeversicherung - egal ob gesetzlich oder privat versichert. Menschen mit einem Pflegegrad 1 erhalten dabei weniger Leistungen, als Menschen mit Pflegegrad 5.
Um aber überhaupt Leistungen der Pflegekasse erhalten zu können, muss zunächst ein Pflegegrad beantragt werden. Für die Einstufung - oder auch Höherstufung des Pflegegrades - wird eine sogenannte Pflegebegutachtung durch den Medizinischen Dienst (MD) durchgeführt. Was wird dabei aber eigentlich genau überprüft?
Übrigens: Der MD ist laut dem Pflegeportal pflege.de der sozialmedizinische Beratungs- und Begutachtungsdienst der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung und prüft in deren Auftrag die Pflegebedürftigkeit von gesetzlich Versicherten. Für Privatversicherte ist Medicproof zuständig. Beide Dienste arbeiten dabei nach denselben Kriterien.
Pflegebegutachtung durch den MD: Wie läuft sie ab?
Die Pflegebegutachtung findet laut dem MD in der Regel als persönliches Gespräch mit einer Gutachterin oder einem Gutachter statt. Möglich ist das in Form eines Hausbesuchs - laut pflege.de ist das meistens der Fall - oder eines Telefoninterviews. Dabei soll festgestellt werden, wie selbstständig Pflegebedürftige ihren Alltag meistern können und wobei sie Hilfe benötigen. Dafür stellen die Mitarbeiter des MD - sie sind speziell ausgebildete Pflegekräfte oder Ärztinnen und Ärzte - spezifische Fragen, die sich an festgelegten Bewertungskriterien orientieren.
Im Anschluss an die Pflegebegutachtung wird laut pflege.de das Gutachten mit einem empfohlenen Pflegegrad und möglichen Hilfsmitteln erstellt und an die Pflegekasse weitergeleitet. Den schriftlichen Bescheid über die Entscheidung der Pflegekasse und dem festgelegten Pflegegrad erhalten Pflegebedürftige anschließend spätestens fünf Wochen nach der Antragstellung. Ist der Pflegegrad zu niedrig eingestuft, kann übrigens auch Widerspruch eingelegt werden.
Was überprüft der MD: Welche Fragen werden gestellt?
Um die Pflegebedürftigkeit einer Person zu bestimmen, wird laut dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) über einen Fragebogen die individuelle Pflegesituation und die Beeinträchtigung der Selbstständigkeit ermittelt. Dabei werden körperliche, geistige sowie psychische Beeinträchtigungen gleichermaßen berücksichtigt.
Der Fragenkatalog des MD beziehungsweise von Medicproof umfasst 64 Einzelfragen, die in Anlage 1 zu Paragraf 15 SGB XI aufgeführt und in Module unterteilt sind. Diese beschreiben sechs Lebensbereiche:
- Modul 1: Mobilität
- Modul 2: Geistige und kommunikative Fähigkeiten
- Modul 3: Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
- Modul 4: Selbstversorgung
- Modul 5: Selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen sowie deren Bewältigung
- Modul 6: Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte
Modul 1: Das Modul zur Mobilität von Pflegebedürftigen umfasst fünf Fragen, die mit "selbstständig", "überwiegend selbstständig", "überwiegend unselbstständig" und "unselbstständig" beantwortet werden können. Je Antwort werden Punkte von 0 bis 3 vergeben. Die fünf Fragen beziehen sich auf die folgenden Kriterien:
- Positionswechsel im Bett
- Halten einer stabilen Sitzposition
- Umsetzen
- Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs
- Treppensteigen
Für Modul 1 können so in der Pflegebegutachtung 0 bis 15 Einzelpunkte vergeben werden, die später in gewichtete Punkte umgerechnet werden und so in die Berechnung des Pflegegrades einfließen.
Modul 2: Das Modul zu geistigen und kommunikativen Fähigkeiten umfasst elf Fragen, die mit "Fähigkeit vorhanden/unbeeinträchtigt", "Fähigkeit größtenteils vorhanden", "Fähigkeit in geringem Maße vorhanden" und "Fähigkeit nicht vorhanden" beantwortet werden können. Je Frage werden Punkte von 0 bis 3 vergeben, sodass in dem Modul 0 bis 33 Einzelpunkte erreicht werden können. Diese Kriterien werden abgefragt:
- Erkennen von Personen aus dem näheren Umfeld
- Örtliche Orientierung
- Zeitliche Orientierung
- Erinnern an wesentliche Ereignisse oder Beobachtungen
- Steuern von mehrschrittigen Alltagshandlungen
- Treffen von Entscheidungen im Alltag
- Verstehen von Sachverhalten und Informationen
- Erkennen von Risiken und Gefahren
- Mitteilen von elementaren Bedürfnissen
- Verstehen von Anforderungen
- Beteiligen an einem Gespräch
Modul 3: Das Modul zu Verhaltensweisen und psychische Problemlagen umfasst 13 Fragen, die mit "nie oder sehr selten" (0 Punkte), "selten" (1 Punkt), "häufig" (3 Punkte) und "täglich" (5 Punkte) beantwortet werden können. In dem Modul können demnach 0 bis 65 Einzelpunkte erreicht werden. Diese Kriterien werden abgefragt:
- Motorisch geprägte Verhaltensauffälligkeiten
- Nächtliche Unruhe
- Selbstschädigendes und autoaggressives Verhalten
- Beschädigen von Gegenständen
- Physisch aggressives Verhalten gegenüber anderen Personen
- Verbale Aggression
- Andere pflegerelevante vokale Auffälligkeiten
- Abwehr pflegerischer und anderer unterstützender Maßnahmen
- Wahnvorstellungen
- Ängste
- Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage
- Sozial inadäquate Verhaltensweisen
- Sonstige pflegerelevante inadäquate Handlungen
Modul 4: Das Modul zur Selbstversorgung umfasst 13 Fragen, die mit "selbstständig" (0 Punkte), "überwiegend selbstständig" (1 Punkt), "überwiegend unselbstständig" (2 Punkte) und "unselbstständig" (3 Punkte) beantwortet werden können. In dem Modul können 0 bis 54 Einzelpunkte erreicht werden, da für einige Fragen höhere Einzelpunktwerte vergeben werden. Diese Kriterien werden abgefragt:
- Waschen des vorderen Oberkörpers
- Körperpflege im Bereich des Kopfes
- Waschen des Intimbereichs
- Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare
- An- und Auskleiden des Oberkörpers
- An- und Auskleiden des Unterkörpers
- Mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken
- Essen - hier werden je nach Antwort die Punktwerte 0, 3, 6 oder 9 vergeben
- Trinken - hier werden je nach Antwort die Punktwerte 0, 2, 4 oder 6 vergeben
- Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls - hier werden je nach Antwort die Punktwerte 0, 2, 4 oder 6 vergeben
- Bewältigung der Folgen einer Harninkontinenz und Umgang mit Dauerkatheter und Urostoma
- Bewältigung der Folgen einer Stuhlinkontinenz und Umgang mit Stoma
- Ernährung parental oder über Sonde - hier gibt es die Antwortmöglichkeiten "entfällt" (0 Punkte), "teilweise" (6 Punkte) und "vollständig" (3 Punkte); die höhere Punktzahl bei "teilweise" wird mit einem höheren Aufwand begründet
Wird die Pflegebegutachtung bei einem Kind bis 18 Monate durchgeführt, entfallen dem Gesetz nach in Modul 4 die Fragen von 1 bis 13 und werden durch dieses Kriterium ersetzt:
- Bestehen gravierender Probleme bei der Nahrungsaufnahme bei Kindern bis zu 18 Monaten, die einen außergewöhnlich pflegeintensiven Hilfebedarf auslösen
Trifft dieses Kriterium auf das pflegebedürftige Kind zu, werden 20 Einzelpunkte vergeben.
Modul 5: Das Modul zum selbstständigen Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen sowie deren Bewältigung umfasst insgesamt 16 Fragen, die allesamt auf die Anzahl der nötigen Maßnahmen abzielen.
Die Antworten auf die ersten sieben Fragen werden gesammelt in Maßnahmen pro Tag umgerechnet. Bei "keine oder seltener als einmal täglich" werden 0 Punkte vergeben, "mindestens einmal bis maximal dreimal täglich" macht einen Punkt aus, die Antwort "mehr als dreimal bis maximal achtmal täglich" wird mit zwei Punkten gewertet und "mehr als achtmal täglich" bedeutet drei Punkte. Auf diese Kriterien beziehen sich die Fragen:
- Medikation
- Injektion
- Versorgung intravenöser Zugänge
- Absaugen und Sauerstoffgabe
- Einreibungen oder Kälte- und Wärmeanwendungen
- Messung und Deutung von Körperzuständen
- Körpernahe Hilfsmittel
Auch die Antworten auf die Fragen von acht bis elf werden gesammelt in Maßnahmen pro Tag umgerechnet. Bei "keine oder seltener als einmal wöchentlich" werden 0 Punkte vergeben, "ein- bis mehrmals wöchentlich" macht einen Punkt aus, die Antwort "ein- bis unter dreimal täglich" wird mit zwei Punkten gewertet und "mindestens dreimal täglich" bedeutet drei Punkte. Auf diese Kriterien beziehen sich die Fragen:
- Verbandswechsel und Wundversorgung
- Versorgung mit Stoma
- Regelmäßige Einmalkatheterisierung und Nutzen von Abführmethoden
- Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung
Für Frage zwölf mit dem Kriterium "Zeit- und technikintensive Maßnahmen in häuslicher Umgebung" gilt für die Antworten: "entfällt oder selbstständig" bringt 0 Punkte und "täglich" wird mit 60 Punkten gewertet. Sind wöchentlich Maßnahmen erforderlich, wird die wöchentliche Häufigkeit mit 8,6 Punkten multipliziert. Sind monatlich Maßnahmen nötig, wird die monatliche Häufigkeit mit zwei Punkten multipliziert.
Die Fragen 13 bis 15 können mit "entfällt oder selbstständig" (0 Punkte), "wöchentliche Häufigkeit multipliziert mit" (4,3 oder 8,6 Punkte) oder "monatliche Häufigkeit multipliziert mit" (1 oder 2 Punkte) beantwortet werden. Das sind die Kriterien:
- Arztbesuche
- Besuch anderer medizinischer oder therapeutische Einrichtungen (bis zu drei Stunden)
- Zeitlich ausgedehnte Besucher medizinische oder therapeutischer Einrichtungen (über drei Stunden) - hier gilt jeweils die höhere Punktzahl, also 8,6 und 2
- Bei Kindern: Besuche von Einrichtungen zur Frühförderung bei Kindern
Die Summe der erreichten Punkte wird mit 0 (0 bis 4,3), 1 (4,3 bis 8,6), 2 (8,6 bis 12,9), 3 (12,9 bis 60) und 6 (60 und mehr) Einzelpunkten gewertet.
Frage 16 bezieht sich auf das Kriterium "Einhalten einer Diät und anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften" und kann mit "entfällt oder selbstständig" (0 Punkte), "überwiegend selbstständig" (1 Punkt), "überwiegend unselbstständig" (2 Punkte) und "unselbstständig" (3 Punkte) beantwortet werden.
Modul 6: Das Modul zu Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte umfasst sechs Fragen mit den Antwortmöglichkeiten "selbstständig" (0 Punkte), "überwiegend selbstständig" (1 Punkt), "überwiegend unselbstständig" (2 Punkte) und "unselbstständig" (3 Punkte). Insgesamt können in dem Modul 18 Einzelpunkte erreicht werden. Das sind die Kriterien, nach denen gefragt wird:
- Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen
- Ruhen und Schlafen
- Sich beschäftigen
- Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen
- Interaktion mit Personen im direkten Kontakt
- Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds
Nach der Pflegebegutachtung: Wie wird der Pflegegrad berechnet?
Ist der Fragenkatalog einmal beantwortet, ergibt sich pro Modul eine unterschiedlich hohe Anzahl ein Einzelpunkten. Diese werden laut Anlage 2 zu Paragraf 15 SGB XI in gewichtete Punkte umgerechnet. Für die Ermittlung eines Pflegegrades von 1 bis 5 werden die gewichteten Punkte der Module 1, 4, 5 und 6 sowie entweder Modul 2 oder Modul 3 - je nachdem in welchem Modul die höhere Punktzahl erreicht wurde - addiert. Maximal können so 100 Punkte erreicht werden, anhand derer der Pflegegrad berechnet wird.
Auf Basis der erreichten Gesamtpunktzahl wird anschließend laut Paragraf 15 Absatz 3 SGB XI der Pflegegrad bestimmt:
- kein Pflegegrad : 0 bis unter 12,5 Gesamtpunkte
- Pflegegrad 1: 12,5 bis unter 27 Gesamtpunkte
- Pflegegrad 2: 27 bis unter 47,5 Gesamtpunkte
- Pflegegrad 3: 47,5 bis unter 70 Gesamtpunkte
- Pflegegrad 4: 70 bis unter 90 Gesamtpunkte
- Pflegegrad 5: 90 bis 100 Gesamtpunkte
Für Kinder gilt übrigens eine leicht abweichende Bewertung der Gesamtpunkte für die Ermittlung des Pflegegrades.