Bevor die knapp 600 Delegierten einen in vielerlei Hinsicht historischen Bundesparteitag der AfD eröffnen können, müssen sie zunächst einmal Geduld mitbringen. Mit mehr als zwei Stunden Verspätung beginnt das zweitägige Treffen im sächsischen Riesa am Samstag. Demonstranten hatten Zufahrtswege blockiert und so die Anreise vieler Teilnehmerinnen und Teilnehmer verzögert. Umso selbstbewusster treten die Delegierten dafür im Saal auf. Angesichts der neuesten Umfragewerte auch nicht ohne Grund, bei 22 Prozent steht die Partei laut Zahlen des Instituts Insa gerade.
Selbstbewusst gibt sich die Partei nicht nur wegen ihrer Umfragewerte. Es ist auch das erste Mal, dass die AfD eine Kanzlerkandidatin wählt – wenn auch mit einem ungewöhnlichen Verfahren. Die Abstimmung erfolgt nicht etwa elektronisch oder per Handzeichen, auch ausgezählt werden die Stimmen nicht. Gewählt wird per Akklamation. Jene Delegierten, die gegen Alice Weidel votieren möchten, werden gebeten, aufzustehen. Im Saal erhebt sich daraufhin niemand. Auch auf die Frage nach Enthaltungen steht niemand auf. Erst beim Aufruf nach den Ja-Stimmen erheben sich die Teilnehmer. Die AfD wertet das als einstimmiges Ergebnis für Weidel.
Alice Weidel spricht beim AfD-Parteitag von Remigration
Die macht in ihrer Rede klar, wer für sie der Hauptgegner in diesem Wahlkampf sein wird: die Union. Während sie die Kanzlerpartei SPD und die inhaltlich in vielerlei Hinsicht besonders weit entfernten Grünen kaum erwähnt, widmet sie der Union einen Großteil ihrer Rede. Eine „Betrügerpartei“ sei die CDU, sagt Weidel. Und behauptet, die Union schriebe aus dem Programm der AfD ab. Insbesondere bezieht sie sich damit auf den zuletzt härteren Kurs der Union in der Asylpolitik. Den scheint sie als Bestätigung für ihre eigene Haltung zu werten. Dem Publikum ruft sie entgegen: „Deshalb liebe Leute, wählt das Original.“
Es sind auch ihre Ausführungen zur Asylpolitik, die für großen Jubel bei den Delegierten sorgen. Die AfD wolle „Rückführungen im großen Stil“, sagt Weidel. „Und ich muss ihnen ganz ehrlich sagen, wenn es dann Remigration heißen soll, dann heißt es eben Remigration.“ Das Wort gilt als rechter Kampfbegriff, der vor allem durch den österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner Verbreitung fand. Vor ziemlich genau einem Jahr stand die AfD wegen eines Treffens in Potsdam, an dem auch Sellner teilnahm, in der Kritik. Dort soll unter anderem über Remigration diskutiert worden sein.
Weidels Aussage ist insofern bemerkenswert, als dass es auch innerhalb der AfD Diskussionen über den Begriff gibt. Zunächst distanzierte sich die AfD und insbesondere Weidel vom Potsdamer Treffen und dem Begriff Remigration. Auch im Entwurf zum Wahlprogramm der AfD, das in Riesa beschlossen wurde, tauchte der Begriff zunächst nicht auf.
Das änderte sich im Laufe des Parteitags: Einige Delegierte brachten eine Änderung ein und setzten sich durch. In der beschlossenen Fassung ist der Begriff enthalten. Auch in anderen Punkten schärft die AfD nach. So stimmen die Delegierten beispielsweise mehrheitlich dafür, ein Kopftuchverbot in öffentlichen Einrichtungen in das Programm aufzunehmen. Nur in einem Punkt stellen sich die Delegierten gegen den rechten Rand: Die „Junge Alternative“ (JA) soll aufgelöst und durch eine neue Organisation ersetzt werden. Innerhalb der AfD gilt die JA als besonders rechts und agiert relativ unabhängig. Die Parteispitze erhofft sich von dem Schritt mehr Kontrolle über den Nachwuchs.
Die AfD macht auf ihrem Parteitag auch klar: Sie will regieren
Mindestens ebenso provokant wie Weidels Aussage zur Remigration dürfte der Slogan sein, der auf vielen der AfD-Schilder im Raum zu lesen ist: „Alice für Deutschland.“ Auch der sächsische AfD-Vorsitzende Jörg Urban beendete damit seine Rede. Was zunächst harmlos daherkommt, erinnert phonetisch stark an die Parole der SA während der Nazizeit: „Alles für Deutschland“. Heute ist die Losung verboten. Einige AfD-Mitglieder hinderte das in der Vergangenheit jedoch nicht, sie öffentlich zu äußern. Zuletzt wurde unter anderem der AfD-Rechtsaußen Björn Höcke zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er die Parole in einer Rede verwendete.
Trotz aller Provokation macht die AfD auf dem Parteitag auch immer wieder klar, was ihr Ziel ist: im Bund regieren. Nur einen Koalitionspartner findet sie dafür bisher nicht. Co-Parteichef Tino Chrupalla, der sich auf dem Parteitag gemäßigter als Weidel gibt, fordert die Union deshalb auf, ihren Widerstand gegen eine Koalition mit der AfD aufzugeben. „In Österreich könnten sie sehen, was mit Brandmauern passiert“, sagt Chrupalla in seiner Rede. Der Traum einer Regierungsbeteiligung lebt also weiter. Klar wird aus den Reden auf dem Parteitag aber auch: Inhaltlich auf die Union zugehen, das will die AfD nicht.
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