Frühling in Oberstdorf. Knapp 20 Grad misst das Thermometer an diesem sonnigen Dienstagmittag. Normalerweise herrscht im Kurpark, in der Fußgängerzone und oben an der Skisprungschanze reger Betrieb um diese Jahreszeit. Nicht in diesem Jahr, nicht mitten in der Corona-Krise. Fast schon gespenstisch ist die Stimmung in Deutschlands südlichster Gemeinde. Wären da nicht an extrem vielen Ecken im Ort irgendwelche Baustellen, man käme sich vor wie in einer Geisterstadt.
Nordische Ski-WM in Oberstdorf: Die Countdown-Uhr tickt weiter
Gähnende Leere auch auf dem Bahnhofsvorplatz, wo die WM-Countdown-Uhr unaufhörlich weitertickt. Noch 308 Tage und acht Stunden waren es am Dienstagmittag. In genau zehn Monaten, am 23. Februar 2021, beginnt die Nordische Ski-WM 2021 in Oberstdorf. Dann sollen die weltbesten Skispringer, Langläufer und Kombinierer um Gold, Silber und Bronze kämpfen und über 350.000 Besucher sie anfeuern und eine große Winterparty feiern. Aber glaubt daran in Zeiten von Corona wirklich noch jemand?
Ja! Florian Stern, einer von zwei Geschäftsführern im WM-Organisationskomitee, übt sich weiter in (Zweck-)Optimismus. Vor ein paar Tagen hatte der 45-Jährige im Gespräch mit unserer Redaktion gesagt, er vertraue auf die geballte Power der Wissenschaft und hoffe, dass die Medizin einen Impfstoff oder ein wirksames Medikament gegen Covid-19 finde, schließlich würden ja weltweit alle Forschungslabors danach fahnden. Stern fügte hinzu: „Wir müssen zurück zu Bundesliga-Spielen, Oktoberfest und Vierschanzentournee.“

Seit Dienstag hat sich zumindest das Thema Oktoberfest erledigt. Stern setzt den Skeptikern unter den Virologen dennoch etwas entgegen: „Ja, für uns sind ein volles Stadion und ein faszinierendes Skispringen zur Tournee und zur WM nach wie vor vorstellbar.“ Jedenfalls bringe es nichts, jeden Tag aufs Neue in eine Glaskugel zu schauen und sich an den „Fantasierereien“ zu beteiligen. Auch Peter Kruijer, der Vorsitzende des Skiclubs, will sich an Spekulationen zu möglichen Absagen nicht beteiligen: „Wir tun gut daran, unsere To-Do-Listen zur Vorbereitung der WM abzuarbeiten.“ Erst vor Kurzem sei man mit den Verantwortlichen des Internationalen Skiverbandes wieder ein gutes Stück vorangekommen – bei einer gemeinsamen Video-Konferenz.
Vierschanzentournee und Weltmeisterschaft in Oberstdorf: Im Spätsommer muss eine Richtung erkennbar sein
Gleichwohl wissen Kruijer und Stern, dass die Zeit für die Vorbereitung von Vierschanzentournee 2020/2021und Weltmeisterschaft knapp werden könnte: Je länger der Shut-Down dauere, umso schwieriger sei es, Verträge abzuschließen. Angebote seien nur schwer zu bekommen. Spätestens im Herbst müsste man über etwaige Ausstiegsklauseln verhandeln. Stern wörtlich: „Im August, September müssen wir dann schon sehr genau wissen, was geht und was nicht.“ Irgendwann gebe es keinen „Point of return“ mehr.
Stern berichtet auch, dass übers Internet aus allen möglichen Ländern immer noch WM-Tickets geordert werden. „Das bewegt sich zwar auf niedrigem Niveau, aber es gibt nach wie vor eine Nachfrage.“
Ein Problem sehen die Organisatoren in Oberstdorf dennoch auf sich zukommen. Weil bereits sehr viele Sport-Großveranstaltungen abgesagt und auf nächstes Jahr verschoben würden, könnten die Fernseh-Anstalten mit ihren Budgets nicht mehr auskommen. Stern dazu: „Immer mehr Veranstalter wollen vom gleichen Kuchen essen. Die Stücke könnten kleiner werden.“ Konkret hieße das: Fernsehsender kämen unter Umständen mit weniger Personal und würden nur aus der Interviewzone senden statt ein repräsentatives Glasstudio zu buchen. Möglich wäre auch, dass deutlich weniger Reporter aus Oberstdorf berichten. Noch, so Stern, gäbe es dafür keine Hinweise, aber auch von den Touristikern sei zu hören, dass Buchungen derzeit immer häufiger nur unter Vorbehalt abgeschlossen würden.

Mit all den Szenarien beschäftigt sich derzeit auch Stefan Huber, seit zwei Jahren Eventdirektor beim Internationalen Skiverband. Trotz weltweiter Absagen von Veranstaltungen hat der 45-jährige Oberstdorfer jede Menge Arbeit. „Corona erfordert extrem viele Gespräche mit allen Beteiligten.“ Auch Huber hält wenig davon, zu weit vorauszublicken: „Die Nachrichtenlage ändert sich täglich.“ Deshalb sei es zwar angebracht, viel miteinander zu kommunizieren, wichtige Entscheidungen aber dann zu treffen, wenn die Grundlagen dafür vorliegen.
Arbeiten und Planungen laufen weiter
Was die anstehenden Großveranstaltungen im Allgäu angeht, sagt auch Huber: „Wir planen normal weiter. Wenn die Gesundheit von Sportlern und Zuschauern nicht gewährleistet werden kann, wissen wir, was wir zu tun haben. Am Ende ist es nur Sport.“
Sport, an dem in Oberstdorf viel dranhängt. Am Dienstag jedenfalls wurde im Sprung- und Langlaufstadion eifrig gearbeitet. Nichts deutet zehn Monate vor der WM auf eine Absage hin. Aber ebenso wenig darauf, dass sich hier bald wieder Menschenmassen tummeln könnten.
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