Nach einem derart harten Vormittagstraining oben auf dem Pitztal-Gletscher ist der Hunger von Tobias Müller groß. Riesengroß. Es ist schließlich schon halb zwei, als der 25-jährige Obermaiselsteiner sowie seine Teamkollegen und Trainer des Deutschen Skiverbandes (DSV) im Mannschaftshotel etwas zwischen die Zähne bekommen. Aber sie wollten ja jede Minute im Schnee nutzen, um sich fit zu machen für die neue Saison. Dem großen Salatteller folgt eine ordentliche Portion Tiroler Gröstl – und zum Nachtisch serviert die Seniorchefin noch ein dickes Stück Apfelkuchen. Trennkost sieht anders aus, aber Müllers Ofen braucht jetzt vor allem eins: Brennstoff.
Seit der siebenfache Telemark-Weltmeister entschieden hat, sein Glück in einer anderen Sportart zu suchen – nämlich beim Skicross –, hat er sich schon in vielerlei Hinsicht umstellen müssen. Er hat viele, neue Leute um sich rum, er verwendet anderes Ski-Material – und er braucht einen anderen Körper. „Ich muss die nächsten Jahre obenrum schon noch etwas zulegen“, sagt Müller, schaut auf seinen leeren Kuchenteller und ergänzt: „Jeder weiß, dass Gewicht schiebt. Aber das sollte ich mir im Kraftraum erarbeiten und nicht beim Essen.“ Passive Masse, weiß der nach wie vor schmächtige Müller, sei auch beim Bergabfahren nicht von Vorteil.

Nicht nur beim Mittagessen, auch davor beim Training wird deutlich: Müller ist schon nach wenigen Wochen im deutschen Skicross-Team voll integriert. „Sie alle haben mich top aufgenommen. Es ist super familiär hier“, sagt Müller. Und Heli Herdt, der Sportliche Leiter des DSV, gibt das Lob schnell zurück: „Tobi ist ein mords Typ. Es macht Spaß, ihn dabei zu haben.“ Müller versichert, dass man ihn kein einziges Mal für seinen Entschluss belächelt habe, dem (noch) nicht olympischen Telemark-Sport adieu zu sagen – und ins Skicross-Lager zu wechseln. Dorthin also, wo er die Chance hat, sich seinen Traum von Olympia zu erfüllen.
Im Kopf habe er die Idee schon länger herumgetragen, „aber es ist ja jahrelang top gelaufen.“ Im Frühjahr dieses Jahres hatte er dann eines Morgens beschlossen, die Erfolgsgarantie beim Telemark aufzugeben und eine neue Herausforderung zu suchen. „Ich war da gerade Weltcup-Führender, stand kurz vor der WM und musste meine Pläne erst mal unter Verschluss halten“, erzählt er. Sonst hätte er sich vorwerfen lassen müssen, nicht hundertprozentig bei der Sache zu sein.
Zur Person: Tobi Müller
14 Goldmedaillen bei Telemark-Weltmeisterschaften
Alter:
25 Jahre
Wohnort:
Verein:
SC Fischen
Arbeitgeber:
Erfolge im Telemark:
" Insgesamt siebenfacher Weltmeister (2013 in Espot/Spanien und 2015 in Steamboat Springs/USA jeweils drei, 2017 in La Plagne/Frankreich ein Titel), dazu zweimal Silber (2011 in Rjukan/Norwegen). Den Gesamtweltcup gewann er zweimal (2014 und 2015), 33 Weltcupsiege stehen auf Müllers Konto. Bei Junioren-Weltmeisterschaften sammelte der leidenschaftliche Mountainbiker ebenfalls sieben WM-Titel: Zwei in Hafjell/Norwegen (2011, dazu Silber und Bronze), drei in Espot/Spanien (2012) und zwei in Chamonix/Frankreich (2013).
Olympia 2022 als Ziel
Als Müllers Wechsel spruchreif wurde und er mit den Verantwortlichen des DSV und der Bundeswehr, seines Arbeitgebers, verhandelte, war zunächst von einer Kombi-Saison die Rede. Der neue Fokus sollte auf Skicross liegen, in die Knie gegangen wäre er nur noch beim Telemark-Saisonauftakt in Hintertux und beim Heimweltcup in Oberjoch. Doch es kam anders. Noch im April bestritt Müller in Cervina seinen allerersten Skicross – wurde bei den italienischen Meisterschaften auf Anhieb Sechster und war „komplett infiziert“. Zwei Wochen später sammelte er im schwedischen Lofsdalen so viele FIS-Punkte, dass er jetzt sogar die Startberechtigung für den Weltcup hat.
Die Saison beginnt heute im französischen Val Thorens. „Ich will mich stetig steigern“, formuliert Müller sein Ziel vorsichtig. Auf der „Cross Alps Tour“ stehen bis Weihnachten weitere drei Rennen in Arosa (Schweiz), Montafon (Österreich) und Innichen (Italien) auf dem Programm. Olympia im Februar nächsten Jahres in Südkorea komme für ihn „ziemlich sicher noch zu früh“. Aber in vier Jahren gebe es ja wieder Spiele – das sei auf jeden Fall sein Fernziel.
Chris Leicht, der DSV-Telemark-Referent aus Oy-Mittelberg, sieht den Wechsel Müllers „natürlich als großen Verlust“. Er und Müllers ehemaligen Kollegen seien aber überzeugt, dass „Tobi alles mitbringt, um auch beim Skicross maximalen Erfolg zu haben.“