Selbst eisige Kälte mit Temperaturen unter minus 20 Grad hat die Teilnehmer des zwölften Pfrontener Lawinentags nicht davon abgehalten, den Ernstfall auf Skitour zu proben. Am Älpele im Tannheimer Tal trainierten sie unter Anleitung von staatlich geprüften Bergführern und Fachübungsleitern des Alpenvereins in Kleingruppen die systematische Verschütteten-Suche nach einem Lawinenabgang. Christoph Trenkle, der in Zusammenarbeit mit Ortovox, Bergführervereinigung Altissimo und Alpenvereinssektion Pfronten den bis auf den letzten Platz ausgebuchten Lawinentag organisierte, freute sich, dass heuer Einsteiger und junge Skisportler die eindeutige Mehrheit unter den etwa 50 Teilnehmern stellten.

Am Vorabend bestritt Martin Schwiersch, Bergführer und promovierter Psychologe, die Theorie und blickte auf die Beurteilungsstrategien zurück, die bis Ende der 1980er Jahren im Vordergrund standen: Mittels Rutschblock, Schaufeltest und dergleichen mehr versuchte man, auf die Lawinengefahr im Einzelhang zu schließen. Voraussetzung war, eine hinsichtlich Hangsteilheit, Exposition, Windeinfluss und Homogenität der Schwachschichten repräsentative Stelle zu finden, um die Ergebnisse eines Rutschblocks oder Schaufeltests auf den gesamten Hang übertragen zu können. In der Praxis zeigte sich jedoch, dass innerhalb weniger Metern die Verhältnisse wechseln können und die Schichtung der Schneedecke nicht homogen ist. Das führte zu einem Umdenken und war Auslöser für die Entwicklung von Entscheidungsstrategien, um das Lawinenrisiko auf Tour zu minimieren.
Da – wie Befragungen zeigten – diese Entscheidungsstrategien unter Tourengehern nicht so weit verbreitet sind, wie es nötig wäre, und mancher überfordert ist, empfiehlt Schwiersch für Einsteiger eine sogenannte Einstiegsstrategie, die leicht zu merken und handhaben ist (siehe unten). Die meisten der von ihm untersuchten Unfälle bei Gefahrenstufe 1 oder 2 wären bei Einhaltung der Empfehlungen zu vermeiden gewesen, aber nicht alle. „Es sind eben Faustregeln. Sie passen nicht auf jede Situation“, sagte Schwiersch. Darauf aufbauend könne sich der Tourengeher mit der Einstiegsstrategie + unter Verwendung der Zusatzinformationen des Lawinenlageberichts weitere Beurteilungskriterien erarbeiten: Altschnee-, Triebschnee-, Gleitschnee- und Nassschneeproblematik sowie die Geländeeinschätzung.
Zur Fortgeschrittenenstrategie gehören laut Schwiersch die Anwendung der SnowCard und die Beachtung von Gefahrenzeichen auf der Tour. Der mit zahlreichen Beispielen und umfangreichen Bildmaterial unterlegte Vortrag fand großen Beifall. „Der Vortrag war sehr anschaulich und fundiert. Auch wenn bei den tiefen Temperaturen unsere Motivation etwas eingefroren war, habe ich viel mitgenommen“, zog Werner Rudolf aus Kempten ein persönliches Fazit. „Obwohl ich schon an einigen Lawinenkursen teilgenommen habe, habe ich die Übungen nicht ganz fehlerfrei ausgeführt. Jährliche Wiederholung ist zwingend anzuraten.“
Lebensrettende Tipps
Einstiegsstrategie
Notwendig sind: Lawinenlagebericht (LLB) und Infos zur Tour
Gehe nur bei Lawinenwarnstufe 1 oder 2
Beschränke Dich auf Modetouren
Gehe nur, wenn zwei Handvoll Spuren vorhanden sind und die Spuren nicht deutlich voneinander abweichen
Bleibe im Bereich der vorhandenen Spuren
Im Spätwinter/Frühjahr: sei um 11 Uhr wieder im Tal
Einstiegsstrategie +
Unter Berücksichtigung der Zusatzinformationen des LLB
Beachtung der Altschnee-, Triebschnee-, Gleitschnee- oder Neuschneeproblematik sowie
Einschätzung der Geländebeschaffenheit (Meereshöhe, Exposition, Steilheit, Geländeformen)
Fortgeschrittenenstrategie
Anwendung der SnowCard und Beachtung von Gefahrenzeichen auf der Tour (Neuschneezuwachs, frischer Triebschnee, frische Lawinen, Setzungsgeräusche, beginnende Durchfeuchtung)