Welche Möglichkeiten eröffnet ein Material, das hart ist wie Diamant, leichter als Stahl und verschleißbeständiger als Titan? Viele. Die Rede ist von so genannter Technischer Keramik. Darauf spezialisiert ist eine Firma in Kempten, die in diesem Bereich in Deutschland Marktführer ist und heuer ihren 100.Geburtstag feiert: 3M Technical Ceramics.
Man sei ein weltweit führender Anbieter für zahlreiche industrielle Anwendungen im Bereich Keramik, sagt Standortleiter Dr. Albert Killich. 620 Menschen arbeiten am Standort Kempten – 500 davon in der Produktion. Das Unternehmen mit aktuell 33 Auszubildenden ist spezialisiert auf das Verarbeiten von Boriden, Carbiden und Nitriden. Aus diesen Werkstoffen entstehen Hochleistungsmaterialien.
Werkstoff schützt auch Soldaten vor Geschossen
Beispiel Borcabid: Der Werkstoff ist so hart und verschleißfest, dass damit sogar Diamanten bearbeitet werden können. Er wird auch in militärischer Ausrüstung verwendet, um Soldaten gegen Geschosse aus Handfeuerwaffen, Artilleriefeuer, Sprengfallen, und explosiven Projektilen zu schützen. Andere Beispiele: Erdgas und Erdöl kann dank spezieller Keramikfilter auch unter schwierigen Bedingungen gefördert werden. Nickel-Diamant-Schichten verbessern die Kraftübertragung von Verbrenner-, aber auch Elektromotoren sowie Windkraftanlagen. Lager und Dichtungen bewahren Pumpenlager in der Industrie vor Verschleiß. Beigemischte Bornitride machen Kunststoffe wärmeleitfähig und zugleich elektrisch isolierend. In Folienbeschichtungsanlagen lässt sich Aluminium mittels Keramik verdampfen. Sogar in der Kosmetik werden die Materialien eingesetzt: Zum Verfeinern von Pudern. Allein am Standort Kempten werden über 1000 Produkte hergestellt.
Bei der Entwicklung von Werkstoffen aus Hochleistungskeramik im 20. Jahrhundert spielte Max Schaidhauf eine entscheidende Rolle. Er gründete 1922 das Elektroschmelzwerk Kempten (ESK). Das Unternehmen begann 1925 mit der Produktion von Siliziumcarbid als besonders hartes Schleifmittel für die Stahlbearbeitung. Produkte und Herstellung wurden im Laufe der Jahrzehnte stetig weiter ausgebaut und auf die verschiedensten neuen technologischen Anwendungsfelder ausgerichtet. 2012 wurde ESK von 3M übernommen, und seit 2015 ist der Standort im Allgäu eine Zweigniederlassung der 3M Deutschland GmbH mit Hauptsitz in Neuss. Sie gehört wiederum zum 1902 in den USA gegründeten Multitechnologiekonzern 3M mit weltweit 95.000 Mitarbeitenden in über 190 Ländern.
40 Mitarbeitende sind nur am Forschen und Entwickeln
Gemeinsam mit Kunden und internationalen Forschungsinstituten entwickelt 3M Technical Ceramics auf der Basis seiner Technologien spezifische Lösungen und ermöglicht neue Herstellungsverfahren. Allein in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung von 3M in Kempten arbeiten 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Jahresumsatz am Allgäuer Standort liegt bei über 100 Millionen Euro. Tendenz steigend: Denn der Konzern ist gerade dabei, seine noch in den USA befindliche Keramikproduktion nach Kempten zu verlagern.
Probleme mit Engpässen in den Lieferketten, wie es viele Firmen derzeit durch Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg haben, gebe es vergleichbar wenig, sagt Standortleiter Killich. Man habe eine Vielzahl an lokalen Lieferanten und sei daher nicht so abhängig, stelle zudem die synthetischen Rohstoffe größtenteils selbst her. Um Rohstoffe zu sparen, setze man auch auf Recycling.
Da das Unternehmen unter anderem einen eigenen Schmelzofen betreibt und pro Jahr etwa 35 Gigawattstunden Strom verbraucht, bereiten Killich die steigenden Energiekosten große Sorgen. Das ist auch ein Grund, warum 3M auf dem Firmenareal eine Photovoltaikanlage bauen will, mit der immerhin vier Prozent des eigenen Strombedarfs erzeugt werden sollen.