Manchen Menschen steht das Wasser bis zum Hals. Oder sogar noch darüber hinaus. So zumindest zeigt Julia Hiemer drei Köpfe. Natürlich nur in übertragenem Sinn. Sie liegen auf dem Boden, als reckten sie sich über die Wasseroberfläche hinaus. Wie die Köpfe von Schwimmern, die mal ganz normal Luft schnappen, mal eher verzweifelt nach Atem ringen. Julia Hiemer gehört zu den „Friends“, die derzeit unter dem Motto „Kilian Lipp and Friends“ in der Sonthofer Stadthausgalerie eine Ausstellung bestücken.
Die „Friends“ sind jüngere Künstlerinnen und Künstler, die ihre Arbeiten neben jenen des 69-jährigen Malers Kilian Lipp aus Bad Hindelang präsentieren. Fünf Kunstschaffende wurden dazu für die Schau in der Stadthausgalerie ausgewählt: die Bildhauerinnen Julia Hiemer (Prem) und Amrei Müller (Bad Hindelang), die Objektkünstler Nina Schmidbauer (Bad Hindelang) und Guido Weggenmann (Kempten) sowie der Maler Stefan Winkler (Argenbühl).
Werke von Stefan Winkler, Guido Weggenmann, Julia Hiemer, Amrei Müller und Nina Schmidbauer ergänzen und kontrastieren die Bilder von Kilian Lipp
Ihre Werke stehen den Arbeiten von Kilian Lipp gegenüber, ergänzen sie thematisch oder treten in Kontrast zu ihnen. So hängt etwa neben dem großformatigen Ölgemälde „Vegetation“ von Lipp aus dem Jahr 2021, das Natur auf eine weitgehend flächige, auf wenige Farben beschränkte Komposition mit einigen Blütentupfen reduziert, der abstrakten Arbeit „Konzentrisch, Fragmentisch“ von Stefan Winkler von 2022 gegenüber, die ein künstliches Konstrukt in ähnlicher Grundkonzeption darstellt. Einen Raum weiter pumpert Guido Weggenmanns überdimensioniert in den Raum gepflanztes, plastisches Herz vor dem „Dunklen Herzen“ Kilian Lipps, einer hinter dem Hirten kraftvoll bewegt drängenden Kuhherde. Und vor Lipps Ölgemälde vom abgestürztem „Ikarus“, bei dem noch die Federn aufstieben von der Wucht des unliebsamen Aufpralls, hebt eine Frau mit einem zur Wiege ausgestreckten Körper in Amrei Müllers Betonguss-Skulptur traumverloren zum „Nachtflug“ an. Neben einer der von Kilian Lipp so faszinierend dargestellten Wasserspiegelungen, in der Konturen von Schloss oder Landschaft auf den Oberflächen von Teich oder Fluss wie im Traum zerfließen, weckt Nina Schmidbauer mit einem Bildobjekt, das an filigrane Eisstrukturen erinnert, die Illusion an zugefrorene „Tiefe Wasser“. Julia Hiemer wiederum offenbart in ihren sich kauernden oder sich reckenden Menschenskulpturen die Nähe zu jenen Bildern, mit denen Kilian Lipp das Werden und Vergehen des Menschen schildert.

So entwickelt diese Schau ein interessantes Beziehungsgeflecht zwischen den Kunstwerken, gibt dabei jedem großzügigen Raum zur Entfaltung und verdeutlicht so die Eigenständigkeit und Entwicklung jedes der Kunstschaffenden. Kilian Lipp, 1953 geboren, weiß in seinen Ölgemälden nicht nur Landschaften und Brauchtum im Allgäu atmosphärisch dicht einzufangen, sondern auch mythologische Themen und religiöse oder allgemein spirituelle Gedanken eindringlich Bild werden zu lassen.
Stefan Winkler, 1968 geboren, zeigt sich zum einen als Maler großformatiger, vor Energie berstender Prospekte, die – wie im „Abgesteckten Feld“ – große Illusionen erzeugen können, zum anderen als experimentierfreudiger Künstler, der unter anderem mit einfachen Symbolen und ausgeschnittenen Bildteilen arbeitet. Julia Hiemer, 1975 geboren, lässt in ihren Holzskulpturen den schwierigen handwerklichen Bearbeitungsprozess erkennen, die Arbeit mit der Motorsäge, mit der einem Baumstamm die Figur abgerungen wurde, lässt aber auch dessen Strukturen, Rinde und Risse eine Figur prägen.

Guido Weggenmann, 1980 geboren, zwingt mit seinen filigranen Spinnennetzen auf schwarzem Grund, die Betrachterin oder den Betrachter, genau hinzusehen. Der Künstler verblüfft mit seinen Stahlobjekten, die zum Beispiel ein oder zwei sich verjüngende Bänder zu einem aufstrebenden Gebilde emporwachsen lassen, das in seiner vielgestaltigen Musterung einen ganzen „Kosmos“ beschwört.
Nina Schmidbauer, 1981 geboren, nutzt ganz unterschiedliche Materialien von Wolle bis Kunstharz, um der Betrachterin oder dem Betrachter ihrer Installationen mit Titeln wie „Weniger ist leer“ auf die Sprünge zu helfen: Duftige Wollgebilde schweben wie Wölkchen im Raum und umkreisen ein Zentrum mit sich auflösenden Strickwaren. Was in der Mitte noch fest gefügt scheint, verliert, je weiter es nach außen driftet, an Substanz.
Wie in die Leere blicken auch Amrei Müllers (Jahrgang 1981) Frauenbüsten oder Ganzfiguren. Aus Beton gegossen wirken sie dabei mitten ins Leben gestellt. Doch nicht nur ihre Augen scheinen durch die Betrachterin oder den Betrachter hindurch auf eine rätselhafte Ferne gerichtet, manchmal erheben sich auch die Figuren selbst wie im Traum und entschweben scheinbar schwerelos der Wirklichkeit. Hoch über jedem Wasser.
Öffnungszeiten der Stadthausgalerie in Sonthofen (bis 16. April): Mittwoch bis Sonntag von 14 bis 17 Uhr.