Raus aus Bus und Bahn, rein ins Auto: Diesen Effekt hatte Corona vielerorts auf die öffentlichen Verkehrsmittel. Dabei ist klimapolitisches Ziel, dass mehr Menschen das Auto stehen lassen. Häufig scheitert dies am Angebot – und der gerne kritisierten, mangelhaften Pünktlichkeit. Doch wie pünktlich sind die Züge im Allgäu eigentlich? Und wo ist es besonders schlimm? Das zeigt eine Anfrage des Oberallgäuer Landtagsabgeordneten Thomas Gehring (Grüne) an die Staatsregierung, die unserer Redaktion vorliegt.
Die besten Werte erreichten im Jahr 2021 demnach Marktoberdorf und Durach, hier waren 96,1 beziehungsweise 93,4 Prozent der Züge pünktlich – zumindest nach deutscher Definition. Demnach ist ein Zug rechtzeitig angekommen, wenn er weniger als sechs Minuten Verspätung hat. Die niedrigsten Werte verzeichnete Lindau, mit 79,3 Prozent am Hauptbahnhof und 66 Prozent an der Station Reutin.
Lindau-Reutin und Ulm: Pünktlichkeit an Umsteigebahnhöfen problematisch
Nimmt man es mit der Pünktlichkeit dagegen etwas genauer, zeigt sich ein realistischeres Bild. So dürfen Züge in der Schweiz, die europaweit als Vorbild beim Bahnverkehr gilt, nur drei Minuten zu spät ankommen, um als pünktlich zu gelten. Mit diesem Maßstab sehen die Allgäuer Werte deutlich ernüchternder aus. Dann waren der Anfrage zufolge 2021 am Kemptener Hauptbahnhof nur 65,3 Prozent der Bahnen pünktlich, in Immenstadt nur 61,1 – und in Lindau-Reutin sogar nur 46 Prozent.
„Es geht hier nicht darum, die Bahn schlecht zu machen“, sagt Gehring. „Aber es gibt ein großes Problem mit der Pünktlichkeit.“ Das wird für Allgäuer Fahrgäste besonders an neuralgischen Umsteigepunkten zum Problem – vor allem, wenn es um den Anschluss an den Fernverkehr geht.
Anschlusszüge in den Westen Deutschlands "oft einfach weg"
So sind die Züge an den wichtigen Umsteigebahnhöfen in Richtung München und Schweiz, Buchloe und Memmingen, mit 91,2 und 85,6 Prozent nach dem Sechs-Minuten-Standard zwar relativ pünktlich. Will man dagegen nach Stuttgart, in den Westen Deutschlands oder nach Frankreich, sieht es düster aus. Hier verliert die Region den Pünktlichkeitsdaten zufolge den Anschluss – im wahrsten Sinne des Wortes.
Dabei zählt gerade bei Umstiegen oft jede Minute – ansonsten drohen lange Wartezeiten auf den nächsten Zug. So ist der RE75, der von Kempten über die Illertalbahn nach Ulm fährt, teilweise in weniger als der Hälfte der Fahrten pünktlich. Die Verbindung, die um 20.38 Uhr in der Donaustadt ankommt, erreichte 2021 nur eine Quote von 48 Prozent – nach dem Sechs-Minuten-Standard. Bei Ankunft um 11.39 Uhr waren laut der Antwort der Staatsregierung nur 55,6 Prozent der Züge pünktlich. „Das ist einfach unterirdisch“, klagt Gehring. „Gerade in Richtung Westdeutschland ist dieser Anschluss enorm wichtig, und wenn man aus dem Allgäu kommt, sind die Züge oft einfach weg.“ Er kenne viele Allgäuer, die Besucher und Geschäftspartner deshalb per Auto in Ulm abholen und wieder an diesen Bahnhof bringen. (Lesen Sie auch:
)Thomas Gehring: "Man sollte bei den Stellwerken ansetzen"
Doch wie lässt sich die Pünktlichkeit steigern? „Man sollte bei den Stellwerken ansetzen, gerade auf der Strecke Ulm-Oberstdorf ist veraltete Technik ein Problem“, fordert Gehring. „Durch digitale Stellwerke könnte man diese Strecke beschleunigen.“ Zusätzlich brauche man mehr Begegnungsmöglichkeiten, damit Züge an der Strecke aneinander vorbeifahren können. „Ich weiß nicht, wie oft ich abends schon in Dietmannsried gesessen bin, weil man auf den Gegenzug aus Kempten warten muss“, klagt Gehring. Auch auf der Strecke zwischen Buchloe und Lindau sorgen eingleisige Abschnitte immer wieder für Verspätungen. „Ein Stellwerksumbau wäre in den kommenden zwei Jahren machbar. Bis 2030 könnte man beide Maßnahmen hinbekommen – wenn man den politischen Willen hat“, sagt Gehring. Genau den vermisst er jedoch: „Der Bahnverkehr ist nicht Schwerpunkt der Verkehrspolitik, weder in München noch im Allgäu.“
Das müsse sich ändern, auch aus touristischer Sicht. „Immer mehr Gäste fragen, ob sie auch ohne Auto anreisen können.“ Die Fahrt per Bahn könnte auch gegen den hohen Parkdruck an Ausflugszielen helfen. „Wenn die Leute mit der Bahn fahren sollen, muss sie aber auch funktionieren“, fordert Gehring. Pünktlichkeit sei hier das A und O.
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