Das Leben ist eine Baustelle. Das wissen nicht nur Maurer und Philosophen. Diese Erfahrung machen auch ständig Unternehmen – vom Ein-Mann-Start-up bis zum Weltkonzern. Derzeit gilt der Satz wieder einmal am Oberallgäuer Doppelstandort von Bosch in Immenstadt und Blaichach. Seit vergangenem Herbst baut das Unternehmen in Blaichach für vier Millionen Euro vier von sechs Geschossen des 130 Jahre alten Baus 102 um. Dort entstehen 160 neue Büroarbeitsplätze und 50 sogenannte produktionsnahe Arbeitsplätze. In den hergerichteten Räumen werden ab Oktober vor allem Maschinenbau-Ingenieure arbeiten. Für sie ist der Platz zu eng in Immenstadt-Seifen. „Wir hätten in Seifen neu bauen müssen“, erklärt kaufmännischer Werkleiter Johannes Lauterbach, „aber in Blaichach war der Bau 102 frei, und ein Umbau dort kostengünstiger.“
Bosch hatte 1960 in Blaichach die Allgäuer Baumwollspinnerei und Weberei übernommen und vom Hauptsitz Stuttgart die Zündverteilerproduktion verlegt. 1986 wurde im Immenstädter Stadtteil Seifen das neue Werk für ABS (Anti-Blockier-System) eröffnet. Seither ist Bosch mit zwei Werken im oberen Illertal vertreten, die konzernintern als ein Standort gelten.
Bosch investiert im Oberallgäu aber nicht nur in Gebäude, sondern auch in die Entwicklung neuer und Verbesserung bestehender Produkte. 121 Millionen Euro betrug dieser Posten im vergangenen Jahr. Das ist gegenüber dem Vorjahr ein Plus von 37 Millionen Euro. 2018 nahm die Zahl der Mitarbeiter um 200 auf knapp 4000 zu, der Ausstoß an Geräten für die Sicherheit in Kraftfahrzeugen erhöhte sich um 300 auf 1,3 Millionen Stück.
Neben dem ABS stellen die Allgäuer Boschler das Elektronische Stabilitäts-Programm (ESP) her, das Schleuderbewegungen und das Ausbrechen des Fahrzeuges durch geregelte Beeinflussung von Bremssystem und Antriebsstrang verhindert. Bis heute wurden mehr als 180 Millionen Bremsregelsysteme in mehreren Werken weltweit hergestellt, rund die Hälfte davon im Werk Immenstadt, das für alle ABS- und ESP-Standorte als Leitwerk fungiert. Seit 2013 läuft im Allgäu die Fertigung des iBoosters – eines elektromechanischen Bremskraftverstärkers für Elektro-Fahrzeuge. Hinzu kommt die Produktion von Fahrerassistenz-Kameras für Pkw und Lkw. Auch auf diesem Sektor ist Immenstadt/Blaichach Leitwerk im weltweiten Fertigungsverbund. Das gilt ebenfalls für die Produktion von Komponenten der Benzindirekteinspritzung, Sensoren und Ventile. Bis heute wurden mehr als 300 Millionen Ventilsitze gefertigt.
Auf welche Entwicklungen muss sich Bosch in einer immer mobiler werdenden Welt einstellen? „Die Megatrends bei uns lauten Elektrifizierung, Automatisierung und vernetzter Verkehr“, sagt Lauterbach. „Durch das automatisierte Fahren kann jeder vierte Unfall mit Personenschaden verhindert werden“, ergänzt Dr. Frank Heeren, zuständig für Koordination und Planung bei Bosch. Deshalb ist die Weiterentwicklung des iBoosters einer der Schwerpunkte für die Zukunft. Ein anderer ist die Einführung der bereits dritten Generation der Fahrerassistenz-Kameras.
Über die Kürze einer Produktionsgeneration von nur ein oder zwei Jahren und den Systemwechsel von Verbrennungs- auf den Elektro- oder Wasserstoff- oder Hybrid-Antrieb sagt Lauterbach: „Wir stecken im größten Wandel, den wir in der Automobil-Industrie je erlebt haben.“
Wobei Technik das eine sei, die Mitarbeiter das andere. Die neuen Herausforderungen in immer schnelleren Abständen erfordern auch eine neue Führungskultur. Bosch macht das mit einer eigenen „Führungswerkstatt“, in der moderne Kommunikationsformen geübt werden: „Die jungen Menschen erwarten, dass wir ihnen den Sinn der Arbeit erklären“, sagt Lauterbach. Ein weiteres Instrument ist die „Akademie 45+“, bei der die mittlere und ältere Mitarbeitergeneration zum Beispiel für die Digitalisierung fortgebildet wird. Diese Investitionen lohen sich offensichtlich: „Wir decken unseren Bedarf an Mitarbeitern und Auszubildenden“, freut sich Lauterbach. Das zumindest ist derzeit trotz akuten Fachkräftemangels in der Branche keine Baustelle bei Bosch.