Unternehmer im Allgäu aber auch Vereine und Ehrenamtliche leiden schon seit vielen Jahren unter zunehmend überfordernder Bürokratie. Wo sie Handlungsbedarf sehen und womit sie täglich konfrontiert sind, haben sie uns erzählt. Was der Beauftragte für Bürokratieabbau im Freistaat sagt, lesen Sie hier.
Malermeister aus Durach: Dokumentation ist „weit überzogen“
Marcel Doriat ist in seinen Beruf als Geschäftsführer seines Malerbetriebes in Durach (Kreis Oberallgäu) hineingewachsen. Der Malermeister hat den Betrieb von seinem Vater übernommen. Er weiß: „Die Verwaltungsarbeit ist extrem viel mehr geworden.“ Verwendete sein Vater früher noch einen Tag pro Woche für Büroarbeit, macht Doriat heute fast ausschließlich Büroarbeit. Auf den Bau kommt er selbst nur noch selten. Das übernehmen seine acht Mitarbeiter. Besonders schlägt die Bürokratie laut Doriat bei der Arbeitssicherheit zu Buche. Bei jeder Baustelle müsse ein schriftliches Gefährdungsurteil erstellt werden – auch, wenn sich Baustellen ähneln. Dabei gehe es etwa um die Absturzgefahr bei Gerüsten. Selbst Mitarbeiter, die diese Arbeit seit 40 Jahren machen, müssen immer wieder Dokumente unterschreiben und geschult werden. All das sei mit Kosten verbunden. Doriat betont zwar, dass sich die Arbeitssicherheit über die Jahre deutlich verbessert habe. Etwa bei Gerüsten. Doch „die Dokumentationsarbeit dahinter ist der Wahnsinn“. Vieles sei „extrem überzogen“. Er appelliert an die Eigenverantwortung und fordert weniger Dokumentationspflicht. Sonst würde bald Nachwuchs fehlen, der sich die Verwaltung noch zutraut.
Bau-Industrie: Am langen Arm der Behörden
„Lange Genehmigungsverfahren, umständliche Amtswege und verfehlte Überregulierungen sind ernste Hindernisse für deutsche Unternehmen, die eigentlich zum Ziel haben, die Wirtschaft anzukurbeln.“ Das sagt der geschäftsführende Gesellschafter der Geiger-Gruppe, Pius Geiger. Das Großunternehmen aus Oberstdorf hat 3500 Mitarbeiter an 100 Standorten – und viel über das Problem überbordender Bürokratie zu erzählen. Etwa über die neue Beitragsberechnung in der Pflegeversicherung. „Durch diese Neuregelung entsteht für uns beträchtlicher Mehraufwand. (...) Insbesondere für unsere Personalabteilung, die über 3500 Mitarbeiterdaten verwaltet, steigt der Aufwand in der Dokumentation erheblich.“
Und die Bürokratie sorge für weitere Probleme: „Wir hätten viele Themen, vor allem im Bereich Nachhaltigkeit oder Energietechnik, die wir gerne voranbringen möchten. Hier haben wir oftmals aber das Gefühl, am langen Arm der Behörden zu verhungern.“ Etwa bei der Windenergie: „Bei diesen Projekten dauert der Planungs- und Genehmigungsprozess durchschnittlich vier bis fünf Jahre.“ Deutschland müsse für die Wirtschaft wieder interessanter werden. „Es ist wichtig, nicht nur Paragrafen, sondern auch gesunden Menschenverstand gelten zu lassen.“
Landwirt: „Alles soll kontrolliert werden“
Mehr Vertrauen des Staates in die Landwirtschaft wünscht sich Landwirt Andreas Hummel aus Altusried, er ist Oberallgäuer Kreisobmann im Bayerischen Bauernverband. Es komme ihm so vor, als ob „alles kontrolliert werden soll“. Dabei hielten sich die meisten doch an die Vorgaben – auch wenn sie nicht kontrolliert werden würden. Hummel nennt ein Beispiel für einen bürokratischen Akt, für den er kein Verständnis hat: Im Frühjahr müssten Landwirte bereits planen, wie oft sie in den kommenden Monate ihre Weiden mähen werden. Ähnlich sei es mit dem Düngen. Dieser Plan müsse schriftlich festgehalten und aufbewahrt werden. Stelle sich im Laufe des Jahres heraus, dass er öfter mähen muss, müsse ein neuer Plan erstellt werden. Und so eine Planung samt Dokumentation sei derart kompliziert, dass sie viel Zeit und Nerven kosten würde. Deshalb lässt er sie erstellen, wofür der Landwirt 100 bis 200 Euro bezahlen muss.
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„Es wird nicht weniger werden an Bürokratie, dafür aber immer komplizierter.“ Hummel fordert von der Politik pragmatischeres Vorgehen. In der Landwirtschaft werde mit der Natur gearbeitet. Da könne beispielsweise nicht alles präzise für ein Jahr geplant werden.
Pflege: 40 Prozent Verwaltungsarbeit
Etwa 40 Prozent seiner Arbeit verbringt Pflegepersonal für bürokratische Aufgaben. Das schätzt Brigitte Protschka, Präsidentin der Arbeiterwohlfahrt Schwaben. Sie nennt ein Beispiel. Ein pflegebedürftiger Heimbewohner muss eine Brille tragen. Das bedeutet für das Pflegepersonal: Es muss dokumentieren, dass diese Person eine Brille benötigt. Es muss schriftlich festgehalten werden, ob sie sich selbst die Brille aufsetzen kann. Und es muss dokumentiert werden, wer die Brille reinigt. Dabei gehörten solche Handgriffe – etwa einem Bewohner die Brille aufzusetzen und sie zu reinigen – zu den vielen grundlegenden Arbeiten in der Pflege. So etwas müsse doch nicht dokumentiert werden. Das Pflegepersonal haben diesen Beruf gelernt und übe ihn freiwillig aus. Also müsse ihm mehr vertraut werden, sagt Protschka.
Eine Mitschuld an der Überregulierung sieht sie in Pflegeskandalen. Um so etwas zu verhindern, seien Auflagen und Kontrollen wichtig. Allerdings mit Augenmaß. Bisher werde übertrieben. Beispielsweise würden Pflegeheime von drei Instanzen kontrolliert: Heimaufsicht, Gesundheitsamt und Medizinischem Dienst. Dabei würden oftmals dieselben Aspekte von allen dreien überprüft. Gäbe es eine bessere Absprache zwischen den Behörden, würden sie und die Pflegeheime viel Arbeit sparen.