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Karl Braig aus Sulzberg: Warum dieser Allgäuer fürs Sitzen in den Knast musste

Wahlserie: So fühlt sich die Nation

Warum dieser Allgäuer fürs Sitzen in den Knast musste

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    Karl Braig vor Antritt seiner Haft in der JVA Kempten: „Ich will nicht einknicken“, sagt der 69-jährige Aktivist.
    Karl Braig vor Antritt seiner Haft in der JVA Kempten: „Ich will nicht einknicken“, sagt der 69-jährige Aktivist. Foto: Peter Kneffel, dpa (Archivbild)

    Karl Braig klingt nicht einmal wütend, gar nicht, wenn er spricht. Dabei ist ihm ein großes Unrecht widerfahren, findet er. Aber seine Stimme ist ruhig, immer wieder huscht sogar ein kurzes Lächeln über sein Gesicht. Aufmerksam hört er zu, bei jeder Frage, die man ihm stellt, manchmal scherzt er, Zuversicht ist es, die er seinem Gegenüber vermittelt.

    Dabei ist der Raum, in dem Braig sitzt, ein Würfel aus Beton und Glas; nur ein Tisch mit vier Stühlen und einem Telefon sowie vier Bilder und ein Kleiderhaken sind darin. Es ist der Besuchsraum der Justizvollzugsanstalt Kempten, in der Karl Braig gefangen ist, immer noch fast 90 Tage lang. Aber Braig hat niemanden bestohlen, bedroht, beleidigt oder verletzt. Er sitzt, weil er saß.

    Karl Braig aus Sulzberg muss für Demo ins Gefängnis

    Der 69-Jährige, der in Sulzberg im Oberallgäu lebt, hatte sich 2023 an einer Sitzblockade der „Letzten Generation“ beteiligt, fünf Monate muss er letztlich dafür ins Gefängnis, wie die Aktivistengruppe mitteilt. Sie nennen das „eine krasse Überreaktion der Justiz“.

    Demnach hatten Braig und einige Mitstreiter sich an einer Hauptverkehrsstraße in Passau auf den Asphalt geklebt und wurden von der Polizei entfernt, nur um die gleiche Aktion an einer anderen Passauer Straße tags darauf zu wiederholen. Braig ist überzeugt, irgendwann freigesprochen zu werden, hält seinen Protest nicht nur für legitim und legal, sondern gar für notwendig.

    Seit 40 Jahren protestiert er für seine Überzeugungen, war schon häufiger für kurze Zeit im Gefängnis, teils hat er seine Inhaftierung regelrecht zelebriert. Dieses Mal hätte er seine Strafe, die eigentlich zur Bewährung ausgesetzt war, vermeiden können, indem er einfach eine Auflage in Höhe von 500 Euro gezahlt hätte – doch Braig ging lieber hinter Gitter, als klein beizugeben. Ziemlich trotzig ist das, könnte man meinen. „Aber dieser Gedanke kommt mir gar nicht in den Sinn“, sagt der Allgäuer.

    Allgäuer Klimaaktivist Karl Braig bringen seine Überzeugungen ins Gefängnis

    „Ich sehe mich nicht als Gegner der Regierung, und schon gar nicht der Demokratie“, erklärt er. Seinen Protest empfindet er als „überlegte und souverän überdachte Reaktion“ auf die Gegebenheiten, er und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter seien „absolut klar“ in ihrem Vorgehen.

    Was das heißt, hat die „Letzte Generation“ immer wieder betont, in Pressemitteilungen, Interviews oder Aussagen vor Gericht: Die Welt läuft darauf zu, die gesteckten Klimaziele zu verfehlen, verbunden mit weltweiten Zerstörungen, Gesundheitsschäden und sozialen Verwerfungen. Die Politik steuert nach Ansicht der Protestierenden nicht ausreichend dagegen, der Öffentlichkeit sei das Problem nicht bewusst genug. Deshalb brauche es „disruptive Aktionen“, die aufrütteln, provozieren und auf die Dringlichkeit aufmerksam machen. Ein Protest, an dem Braig sich beteiligt, weil er von dem diesem Weg überzeugt ist.

    Gefühlslage der Nation

    Wahlen werden inzwischen mehr denn je auf den letzten Metern entschieden, und oft sind es nicht Programme, die den Ausschlag geben, sondern Stimmungen und Emotionen. Deshalb haben wir uns entschieden, in unserer Wahlserie Gefühle in den Mittelpunkt zu stellen. Es geht um Mut, Überforderung, Glück, Hoffnung und Angst, die Menschen hinter diesen Gefühlen und um Politik. Alle Teile der Serie sammeln wir auf einer Übersichtsseite, auf der Sie jeden Tag bis zur Wahl am 23. Februar eine neue Folge finden.

    „Ich empfinde mein Vorgehen als zielführend, bewahre mir eine optimistische Grundhaltung“, sagt er. So seien auch meist seine Emotionen, wenn er protestiert. Dann denke er an seine Verantwortung, auch seinen Kindern gegenüber, manchmal verspüre er Wut. Aber Trotz? Den findet er eher kontraproduktiv, womöglich gar zerstörerisch. Dabei habe Trotz durchaus Einfluss auf die Politik, findet Braig.

    Trotziges Handeln in der Politik assoziiert Klimaaktivist Braig indes mit dem, was aus seiner Sicht reaktionäre Politik ist: Wie CSU-Chef Markus Söder, eine Rückkehr zur Atomkraft zu fordern, obwohl die AKW-Betreiber selbst kein Interesse mehr daran haben. Oder, wie Bayerns FDP-Chef Martin Hagen mit Silvesterraketen zu posieren, während diese pandemiebedingt gar nicht verkauft werden durften.

    „Das ist dummdoof und plump, pubertäres Gehabe“, findet Braig. Er kann mit solchen Provokationen nichts anfangen. Und obwohl auch die Sitzblockaden von ihm und den Mitstreitern der „Letzten Generation“ oft als Provokationen empfunden werden, sieht Braig sich selbst eher als Versöhner. Auch im Gefängnis. „Ich möchte nicht anecken oder polarisieren“, sagt er. „Wir begegnen uns hier auf Augenhöhe.“ Nicht einmal politische Gespräche müsse er zwingend führen, wenn sie sich nicht ergeben. Die Strafverfolgungsbehörden haben auf die Klimaproteste jedoch einen anderen Blick.

    Forscher beklagen zunehmend Repressionen gegen Klimaaktivisten

    Luise Klaus und Emmanuel Schlichter wissen mehr dazu. Sie haben für den Verein „Green Legal Impact“, der sich für rechtliche Unterstützung zugunsten von Umwelt-, Naturschutz und Menschenrechten einsetzt, untersucht, wie sich staatliche Repression gegenüber Vertretern der Klimabewegung entwickelt hat. „Der Rechtsstaat funktioniert“, hält Klaus zwar fest – und beklagt gleichzeitig lokal stark unterschiedliche Urteile gegen die Protestformen der Klimabewegung.

    Ihrer Studie zufolge sind die Behörden darauf aus, durch harte Maßnahmen und Verurteilungen abzuschrecken. Eine Trotzreaktion der Aktivistinnen und Aktivisten darauf sei zwar auch vereinzelt denkbar – doch insgesamt wirke die Strategie. Man habe festgestellt, dass sich vor allem jüngere Menschen vom Protest abhalten lassen, sagt Schlichter. Auch Politik, Medien und Öffentlichkeit spielten dabei eine Rolle: Von ihnen sei ein verbal schärferer Ton gegenüber den Protestierenden ausgegangen. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger verloren mit der Zeit das Verständnis für die „Klimakleber“. Der CSU-Politiker Alexander Dobrindt sprach gar von einer „Klima-RAF“. In der Justiz spüre man, dass sich so etwas anschließend manifestiere, sagt Schlichter und fügt hinzu: „Das ist höchst problematisch.“

    Als Karl Braig seine Haftstrafe in Kempten antrat, begleitete ihn eine große Welle der Solidarität.
    Als Karl Braig seine Haftstrafe in Kempten antrat, begleitete ihn eine große Welle der Solidarität. Foto: Ralf Lienert (Archivbild)

    Braig schließt sich dem an. Auch er nimmt ein zunehmend rigoroses Durchgreifen vonseiten der Polizei gegen die Proteste wahr. „Ich bin manchmal richtig geschockt, welche Aggression von den Beamten ausgeht“, sagt er und nennt das „eine Gefahr für die Demokratie“. Doch er will nicht einknicken, sagt er – und auch nach seiner Zeit im Gefängnis weiter protestieren. Aber nein, nicht aus Trotz, sagt er. Sondern, weil er sein Anliegen für richtig hält.

    Als Teil unserer Bundestagswahl-Serie schauen wir uns auch die Parteiprogramme genauer an und dröseln auf, wie die Parteien zu unterschiedlichen Sachthemen stehen.

    Mehr Texte aus unserer Serie zur Wahl finden Sie hier:

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