Um 11.20 Uhr hält der Rettungswagen mit Blaulicht vor der Notaufnahme des Kemptener Klinikums. Es geht um Leben oder Tod. Eine Seniorin erlitt einen Herzkreislaufstillstand, musste auf der Fahrt reanimiert werden. Die Notfallsanitäter haben über Funk die Notaufnahme alarmiert. Jetzt wird die 80-Jährige auf einer Liege in den sogenannten Schockraum transportiert, in dem Schwerstkranke erstversorgt werden.
Dort wird sie bereits von einem zehnköpfigen Team aus Ärzten und Pflegekräften erwartet. „Ziel ist die schnellstmögliche Diagnostik und der Beginn der Therapie. Bei Bedarf werden Fachärzte aus dem Haus hinzugezogen“, sagt Chefärztin Dr. Dagmar Strauß.
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35.000 Patienten pro Jahr: Notaufnahme am Klinikum Kempten ist die Größte im Allgäu
Die 56-Jährige leitet die größte Notaufnahme im Allgäu. 35.000 Patienten pro Jahr werden dort versorgt. Zu jeder Tages- und Nachtzeit. „Unsere Tür ist immer offen“, sagt Strauß. Dafür garantiert ein Team aus zehn Ärztinnen und Ärzten, 14 Pflegekräften, zwei Notfallkoordinatoren und zwei medizinischen Fachangestellten, die jeweils im Schichtbetrieb im Einsatz sind. „Wir sind die Weichensteller für die Patientinnen und Patienten“, sagt Strauß. Dazu gehört die Einstufung jedes neu Eingetroffenen nach medizinischer Dringlichkeit.
Wer mit leichten Verletzungen oder geringen gesundheitlichen Problemen in die Notaufnahme kommt, muss sich mitunter auf stundenlange Wartezeiten einstellen. „Wir sind gesetzlich verpflichtet, nachvollziehbare Behandlungsprioritäten festzulegen. Und wir können nie planen, was passiert“, sagt Strauß.

Bundesweit klagen Notaufnahmen immer wieder über die Belastung. Auch das Team in Kempten geht oft an die Grenzen. Erschwert wird die Arbeit, wenn Menschen kommen, die keine Notfälle sind, und sich beispielsweise wegen Halsschmerzen oder einer Erkältung untersuchen lassen wollen. „Da heißt es dann schon mal: Mein Hausarzt ist im Urlaub. Und zu seiner Vertretung gehe ich nicht“, erzählt Strauß.
Reform-Vorschlag: Patienten sollen sich künftig erst Integrierte Leitstellen anrufen
Um die Notaufnahmen zu entlasten, hat eine Regierungskommission Vorschläge für eine Reform gemacht. Im Kern sollen neue, integrierte Leitstellen geschaffen werden. Dort sollen sich Patienten telefonisch melden. Geschulte Fachkräfte würden sie dann beraten, ob ein Rettungsdienst benötigt wird, der Anrufer selbst ein Notfallzentrum aufsuchen soll – oder ob ein Praxistermin beim Haus- oder Facharzt ausreicht. Dr. Strauß begrüßt diesen Vorschlag. „Das würde uns entlasten. Die Patienten würden gleich an die richtige Stelle geleitet. Die Wartezeiten hier würden kürzer.“
Diskussion um Notaufnahme-Gebühr: Das sagt Chefärztin Dr. Dagmar Strauß
Allerdings müsste dazu auch die Zahl der Facharzt-Termine angehoben werden. „Viele Patienten sind sehr verunsichert, wenn sie bei Beschwerden erst nach sechs oder acht Wochen einen Termin beim Facharzt bekommen. Sicherheitshalber kommen sie dann lieber vorher zu uns.“
Die Union im Bundestag schlägt sogar eine
für Patienten vor, die sich nicht telefonisch anmelden. Wer sich konsequent weigert, soll 20 Euro zahlen. Diese Idee geht Dr. Strauß zu weit. „Es kann nicht sein, dass sich jemand im Notfall nicht zu uns traut, weil ihm am Monatsende das Geld ausgegangen ist.“ Die Versorgung wegen des fehlenden Betrags zu verweigern, käme nicht infrage: „Das wäre unterlassene Hilfeleistung.“(Lesen Sie auch: Werden Patienten am Buchloer Krankenhaus einfach abgewiesen?)
Dr. Strauß und ihr Team setzen vielmehr auf Aufklärung bei den Patienten. „Die Notaufnahme hat keine Kassenzulassung. Wir dürfen keine Krankschreibungen ausstellen und – abgesehen von wenigen Ausnahmen – keine Rezepte für verschreibungspflichtige Medikamente.“ Beides muss bei Bedarf über den Hausarzt oder den hausärztlichen Notdienst erfolgen.
Nicht mit jedem Wehwechen in die Notaufnahme
Geholfen wäre den Notfallaufnahmen, wenn Menschen nicht mit jedem Wehwehchen dort aufschlagen würden. Dann könnten sich Ärzte und Pflegekräfte voll und ganz auf die Behandlung von wahren Notfällen konzentrieren. So wie auf die 80-Jährige im Schockraum, die vom Team der Notaufnahme stabilisiert werden konnte und nach weiterer Diagnostik auf die Intensivstation verlegt wurde. Dort wird sie die nächsten Tage verbringen.