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Nazi-Zeit in Sonthofen: Ordensburg und Adolf-Hitler-Schulen im Allgäu

Der Bau steht noch heute

Hier sollte der NS-Nachwuchs herangezogen werden: Die Ordensburg in Sonthofen

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    Mutproben waren Teil der Ausbildung auf der NS-Ordensburg in Sonthofen: Aus mehreren Metern Höhe mussten Schüler der Adolf-Hitler-Schule in Sonthofen in ein Tuch springen, das von Klassenkameraden gehalten wurde. Das Bild entstand um 1942. Im Hintergrund der turmartige Bau, der noch heute steht.
    Mutproben waren Teil der Ausbildung auf der NS-Ordensburg in Sonthofen: Aus mehreren Metern Höhe mussten Schüler der Adolf-Hitler-Schule in Sonthofen in ein Tuch springen, das von Klassenkameraden gehalten wurde. Das Bild entstand um 1942. Im Hintergrund der turmartige Bau, der noch heute steht. Foto: dpa/picture alliance/Fotoarchiv für Zeitgeschichte

    Der Junge steht auf einer Balkonbrüstung in einer Höhe von mehr als acht Metern. Unten halten Mitschüler ein großes Tuch auseinander. Andere sind schon gesprungen. Nun ist er an der Reihe. Doch er traut sich nicht. Eine Szene, die sich vor Jahrzehnten in Sonthofen abgespielt hat und die bis heute überliefert ist. Wir befinden uns in der NS-Ordensburg, in der damals eine Adolf-Hitler-Schule eingerichtet war.

    Heute ist in dem Gebäudekomplex die Bundeswehr untergebracht. Die Szene von damals beschreibt kein Abenteuerspiel unter Freunden. Sie war Teil der Ausbildung und sollte die jungen Männer formen. Demütigung war die Strafe für jene, die Angst hatten zu springen: Sie standen vor ihren Kameraden als Feiglinge da. Und wurden bald ausgesondert.

    Gerhard Klein, Stadtarchivar von Immenstadt, Archivpfleger des Landkreises Oberallgäu und Gymnasiallehrer.
    Gerhard Klein, Stadtarchivar von Immenstadt, Archivpfleger des Landkreises Oberallgäu und Gymnasiallehrer. Foto: Andreas Berger

    Mutproben spielten in der NS-Ordensburg große Rolle

    90 Jahre ist es her, dass der Bau der NS-Ordensburg in Sonthofen begann, im Herbst 1934. Junge Männer sollten dort zu Führungspersonal für die NSDAP ausgebildet werden, die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei. Dazu kam es allerdings nicht mehr, weil die potenziellen Teilnehmer im 1939 beginnenden Zweiten Weltkrieg gebraucht wurden.

    Allerdings kam dort das provisorische Hauptquartier der Adolf-Hitler-Schulen (AHS) unter: Ausgesuchte Kinder und Jugendliche zwischen zwölf und 18 Jahren aus ganz Deutschland wurden in der Oberallgäuer Gemeinde im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie unterrichtet. Sport war ein Schwerpunkt. „Und Mutproben spielten dabei eine wichtige Rolle“, sagt Gerhard Klein. Er ist Stadtarchivar von Immenstadt, der Archivpfleger des Landkreises Oberallgäu und Gymnasiallehrer.

    „Befehl und Gehorsam haben schon funktioniert“

    Klein erzählt von den Schilderungen eines ehemaligen Schülers der Adolf-Hitler-Schule in Sonthofen. Darin geht es um einen Jugendlichen, der sich nicht traut, vom Balkon zu springen. Abends bekam er eine zweite Chance. Unter den Blicken von Dutzenden Mitschülern habe er auf dem Balkon gestanden. „Der Druck war enorm“, sagt Klein. Dieser Jugendliche sei nicht gesprungen und habe dann auch bald die Schule verlassen müssen. Er wurde aussortiert. Doch die meisten sprangen. „Befehl und Gehorsam haben schon funktioniert“, sagt Klein.

    Adolf Hitler sprach 1937 in der Ordensburg Sonthofen

    Die Gebäude und Räume von damals sind noch erhalten, heute heißt der Komplex Generaloberst-Beck-Kaserne. Benannt nach einem der Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime. Derzeit sind dort unter anderem die Bundeswehr-Dienststellen „Schule ABC-Abwehr“, Zentrum Brandschutz und Teile der Sportschule beheimatet.

    Den riesigen Speisesaal gibt es noch, in dem vor Jahrzehnten Tausend Schüler Platz hatten. Und den Palas, den turmartigen Bau, der schon von Weitem zu sehen ist. Er stand schon, als Adolf Hitler am 23. November 1937 nach Sonthofen kam. Er sprach in der NS-Ordensburg vor etwa 1500 Gauamts- und Kreisleitern unter anderem darüber, dass die Deutschen mehr Platz auf dieser Welt bräuchten, um wieder zur „vorherrschenden weißen Macht“ zu werden.

    1400 Schüler gleichzeitig in Ordensburg untergebracht

    Zeitweise waren in dem burgähnlichen Bau in Sonthofen 1400 Schüler gleichzeitig untergebracht. 16 Kinder und Jugendliche teilten sich ein Schlafzimmer. Ehemalige Teilnehmer berichteten später, sie hätten die Einrichtung als Elite-Schule betrachtet, sagt Gerhard Klein. Typenprägung nennt der Historiker das, was damals dort betrieben wurde: Alle Schüler sollten am Ende gleich sein. Er legt ein Foto auf den Schreibtisch. Eine Klasse mit Kindern ist zu sehen. Alle haben die gleichen zur Seite gescheitelten Frisuren, die gleiche uniformartige Kleidung, ähnliche Gesichtszüge.

    Adolf-Hitler-Schüler waren nicht besonders beliebt bei Allgäuern

    Auch der spätere Schauspieler Hardy Krüger gehörte dazu. Er war 13 Jahre alt, als er 1941 nach Sonthofen kam. Später wurde er von der Waffen-SS zwangsrekrutiert und an die Front geschickt.

    Er und seine Klassenkameraden der Adolf-Hitler-Schule waren nicht besonders beliebt bei den Allgäuer Jugendlichen, erzählt Gerhard Klein. Regelmäßig hätten die jungen Bewohner der Ordensburg an örtlichen Veranstaltungen der Hitler-Jugend teilgenommen. Zum Beispiel an Geländespielen. Dabei hätten sie oft die Führung der Gruppen an sich gerissen - weil sie es so gelernt hätten. Das kam nicht gut an bei den heimischen Jugendlichen, sagt Klein.

    Viele Aufträge fürs Allgäu

    Generell aber habe die Bevölkerung in Sonthofen und Umgebung nichts gegen die NS-Ordensburg gehabt, sagt der Stadtarchivar. Im Gegenteil: Für deren Bau nämlich seien vor allem heimische Firmen beauftragt worden: Bauunternehmen, Handwerksbetriebe, Zulieferer. Andere Allgäuer Firmen durften die Einrichtung etwa mit Lebensmitteln versorgen.

    Innerhalb der Ordensburg entstanden Arbeitsplätze, die mit Zivilisten aus der Umgebung besetzt wurden, etwa in der Küche, in der Verwaltung, der Wäscherei. Was in den Klassenzimmern gelehrt wurde, habe viele Menschen aus der Region deshalb nicht so sehr interessiert.

    Es war ein „Täter-Ort“

    Doch es war ein Täter-Ort, wie ihn Gerhard Klein nennt. Einen großen Teil trug die Rede von Heinrich Himmler dazu bei, die er 1944 dort hielt. „Er hat Sachen gesagt, die schier ungeheuerlich sind“, sagt Klein. Unter anderem rechtfertigte Himmler, dass nicht nur erwachsene Menschen jüdischen Glaubens getötet werden, sondern auch Kinder.

    „Die Kinder werden eines Tages groß werden“, so steht es in einem Auszug aus Himmlers Rede. Viele Täter hätten sich damals in der Sonthofener Ordensburg getroffen und über Verbrechen gesprochen. Doch dieser Tagungsbetrieb, den es dort zusätzlich zur Schule gegeben hat, müsse noch detailliert aufgearbeitet werden.

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