Immer auf Achse. Am Ende dieser Geschichte, in der es um die außergewöhnlichen Erfolge des Halfpipe-Snowboarders André Höflich vom Skiclub Kempten geht, werden auf knapp 150 Zeitungszeilen ein Dutzend Ortsnamen genannt sein. Profisportler zu sein, das bedeutet auch in Corona-Zeiten Globetrotter zu sein, ständig unterwegs, ständig damit beschäftigt, Reisen zu organisieren, Trainings- und Wettkampfpläne auf eine imaginäre Weltkarte zu übertragen. Auf seiner Homepage hat André Höflich genau diese Übersicht erstellt. Wie beim Strategiespiel Risiko hat der 23-Jährige mit bunten Fähnchen markiert, welche Orte er mit seinem Snowboard schon erobert hat.
Höflich bei letztem Europacup der Saison in der Schweiz
Wir treffen Höflich telefonisch in Laax in der Schweiz an, seiner dritten Heimat nach Buchenberg (wo er aufgewachsen ist) und Berchtesgaden (wo er nahe des Bundesstützpunktes wohnt). Am Wochenende war er noch beim Weltcup in Aspen in den USA, wo er mit Rang drei das bisher beste Ergebnis seiner Karriere einfuhr. Und statt sich ein paar Tage zuhause zu erholen, führte ihn die Rückreise vom Flughafen in München direkt in den Kanton Graubünden. Dort findet an diesem Wochenende die Schweizer Meisterschaft statt und gleichzeitig der letzte Europacup-Wettbewerb der Saison.
Höflich ist motivierter denn je. Er möchte dem zweiten Platz in der Weltcup-Gesamtwertung (wohlgemerkt nach nur zwei Wettkämpfen) den Sieg im Kontinentalcup folgen lassen. Dazu muss er allerdings die vor ihm liegenden Schweizer Lokalmatadoren Jonas Hasler (105) und den punktgleichen Elias Allenspach (100) auf Distanz halten. Die favorisierten Eidgenossen David Hablützel und Jan Scherrer, mit denen sich Höflich im Weltcup „battelt“, können ihm nicht gefährlich werden. „Kein Problem, wenn die vor mir liegen. Auf meinem Konto stehen die 100 Punkte vom Sieg in Crans Montana“, erklärt Höflich. „Ja, doch, den Europacup-Sieg würde ich schon gerne eintüten.“
Mit Rang drei eine elf Jahre lange Durststrecke beendet
Seine Form stimmt. Das wurde in Aspen besonders deutlich, als Höflich mit Rang drei nicht nur für den Deutschen Snowboardverband eine elf Jahre lange Durststrecke ohne Podestplatz beendete, sondern auch die amerikanische Legende Shaun White hinter sich ließ. „Shaun zu schlagen, ist eine Riesenehre für mich. Ich fühle mich mega“, hatte Höflich unmittelbar nach dem Erfolg gesagt.
Höflich: "Es läuft gerade richtig gut. Hammer."
Mit ein paar Tagen Abstand klingt das bei Höflich nicht weniger emotional: „Es läuft grad richtig gut. Hammer.“ Und warum? Weil er mental stärker sei („Ich kann den Druck, den ich mir früher öfter mal gemacht habe, besser ausblenden“) und weil sich sein intensives Fahrtechnik-Training nun bemerkbar mache. „Egal, wie die Halfpipe beschaffen ist, ich kann mich voll auf meine Tricks konzentrieren.“
Sein Parade-Sprung, den die Snowboarder übrigens als „Signature move“ bezeichnen, ist der „Switch method“. Dabei fährt Höflich rückwärts an und muss beim Griff ans Board (der sogenannte „grab“) die vordere Hand hinter den vorderen Fuß an der Rückseite des Bretts bringen. Das heißt, der Körper muss fast akrobatisch gebogen werden. „Dieser Trick ist mein Markenzeichen. Der gibt auch richtig viel Punkte, weil ich eine eher unnatürliche und schwer zu kontrollierende Position in der Luft einnehme“, sagt Höflich nicht ohne Stolz.
Neuer Trick: "Backside double cork 1260"
Unzählige Male hat er diesen Trick im Schnee und auf dem Trampolin geübt. „Jetzt sitzt er.“ Höflich will sich aber nicht darauf ausruhen. Für die kommende Olympia-Saison will er einen zusätzlichen Trick einstudieren. Allein sein Name „Backside double cork 1260“ und die Tatsache, dass Höflich schon seit vier Jahren daran arbeitet, lassen erahnen, wie schwierig, langatmig und detailversessen das Training eines Profi-Snowboarders aussehen kann.
Doch für Olympia nimmt Höflich jede Mühe in Kauf. „Das ist nun mal der prestigeträchtigste Wettkampf. Ich möchte so fit wie möglich nach Peking reisen und dann einen möglichst guten Wettkampf zeigen.“ Bis dahin hat Höflich ein Mammutprogramm vor sich – wenngleich Corona die Stationen seiner Welttournee schon beeinflusst. „In Le Deux Alps in Frankreich kriegen sie diesmal keine Halfpipe finanziert und Neuseeland wird für uns die Tore sicher auch nicht aufmachen. Schade.“
Nach einer Leistungsdiagnostik nächste Woche in Berchtesgaden geht es zurück nach Laax, wo Höflich bis zum Saisonende am 10. April hart trainieren, aber abseits der Halfpipe auch die nötige Ablenkung finden will. „Der Frühling ist für uns Snowboarder die zweitschönste Zeit nach der Tiefschneephase im Januar. Wenn alles schön warm und weich ist, können wir uns für die lange, harte Wettkampfsaison belohnen.“
Ablenkung beim Rennradeln am Gardasee
Eine wirkliche Pause gibt’s nicht. Vielleicht mal zum Downhill-Mountainbiken nach Leogang oder zum Rennradeln an den Gardasee. Aber eigentlich denkt Höflich schon jetzt an den nächsten Winter: „Ab Oktober geht’s wieder nach Saas Fee auf den Gletscher.“ Noch so eine kleine Fahne auf der Höflichschen Risiko-Karte. Die ganz große steckt ganz rechts in Asien. Peking soll erobert werden – in aller Bescheidenheit, in aller "Höflich"-keit.
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