Auf den prachtvoll blühenden Malven im Schrebergarten von Simeon Martin tummeln sich fleißige Bienen, doch ihr Summen ist nicht zu hören. Es wird übertönt von einem Brummen: Zwei Lastwagen und elf Autos rauschen innerhalb weniger Sekunden an den liebevoll gepflegten Gärten des Kleingartenvereins Betzigau vorbei. Wrummmmm. Dieses Geräusch ist stets präsent in der wohl bekanntesten Schrebergartenanlage des Allgäus. Sie liegt direkt an der B 12 nahe Kempten auf Betzigauer Flur. 16.700 Fahrzeuge rauschen laut staatlichem Bauamt Kempten täglich vorbei.
Schrebergarten an der B12: "Wir haben die lauteste Ruheoase weit und breit"
„Wir haben die lauteste Ruheoase weit und breit“, sagt Martin schmunzelnd. Der 64-jährige Rentner gehört zu den umtriebigen Pächtern der insgesamt 24 Gärten, die fast jeder Autofahrer im Allgäu schon einmal gesehen hat. Schon von weitem sind gehisste Bayern- und Deutschlandfahnen neben gepflegten Gartenhäusern erkennbar. Doch wie kommen die Mitglieder des Kleingartenvereins „Am Weiher Betzigau“ mit dem Krach der Motoren zu Recht, der ohne Schutzwand auf ihr Kleinod trifft?
„Bestens!“ Diese verblüffende Antwort gibt der 87-jährige Alfred Duile, der an diesem Morgen auf dem Weg zum Pflanzengießen in seiner Parzelle ist. „Mir würd’ ohne Motoren glatt was fehlen“, sagt er. Lachend schiebt er die Erklärung lachend hinterher. „Ich war 40 Jahre lang Fernfahrer.“ Sollte es ihm tatsächlich einmal zu laut werden, hätte er ohnehin ein Ass im Ärmmel. „Dann würd’ ich einfach mein Hörgerät ausmachen“, sagt Duile.

An den Lärm der Bundesstraße hat sich auch Simeon Martin gewöhnt, der seit vier Jahren einen Garten günstig gepachtet hat und sich im Sommer täglich um Gemüse, Obst und Blumen kümmert. „Unruhig werd’ ich erst, wenn einmal kein Verkehr ist“, sagt der frühere Lagerist. „Dann war irgendwo ein Unfall und die Straße ist gesperrt.“ Für Martin, zugleich Kassierer der Kleingärtner ist, sind die Arbeiten im Garten und an der Hütte eine willkommene Abwechslung. „Irgendwie muss man sich als Rentner doch beschäftigen“, sagt er und fügt augenzwinkernd an. „Die ganze Zeit über in Urlaub fahren, geht ja leider nicht.“ Muss ja auch nicht sein. Erholen könne man sich schließlich ebenfalls im Schrebergarten. Dann werden schon mal die Liegestühle ausgeklappt und ein Sonnenbad genommen oder der Grill angeworfen.
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Fast 50.000 Parzellen für Kleingärtner gibt es in Bayern - spätestens seit der Corona-Pandemie viel zu wenige. Die Nachfrage ist vielerorts sprunghaft gestiegen. Auch für die Schrebergartenanlage an der B12 gibt es eine Warteliste. „Wer einmal hier sein Glück gefunden hat, der behält seinen Garten bis zum Schluss“, sagt Martin über die Kleinoase, die ihre Ursprünge in der Nachkriegszeit hat.
Anfangs war es noch ruhig
Das heutige Gelände wurde damals Flüchtlingen und Vertriebenen aus dem Sudetenland und Schlesien, als Anbaufläche für Gemüse und Obst zu gesprochen. Erst in den 1970er Jahren entstand die Schrebergartenanlage in ihrer heutigen Form. Im damaligen Jahrzehnt wurde auch die B12 ausgebaut. Doch das Verkehrsaufkommen war mit dem heutigen nicht zu vergleichen. „Es war noch richtig ruhig“, sagt Martin. Mittlerweile hat sich das geändert und die Tendenz ist weiter steigend. Wegen der allgemeinen Verkehrszunahme rechnet das Straßenbauamt mit bis zu 20.000 Fahrzeugen pro Tag auf der B 12 im Jahr 2030.
Die Diskussion um einen vierspurigen Ausbau der Bundesstraße beschäftigt auch die Kleingärtner. Aktuell sehen sie mit Blick auf die Vorplanungen allerdings keinen Grund zur Sorge. „Unsere Grundstücken wären demnach nicht betroffen. Die Fahrbahn würde auf der anderen Seite verbreitert werden“, sagt Martin. Sollte der Ausbau tatsächlich kommen und dann das generelle Tempolimit von Kempten nach Buchloe wegfallen, hofft Martin mit seinen Lauben-Nachbarn auf den Bau eines Lärmschutzwalls vor der Anlage. „Wir sind viel gewohnt. Aber irgendwann ist auch mal gut.“
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Das gilt übrigens auch auf der Anlage selbst: Zwischen 12 und 13 Uhr herrscht Mittagsruhe und am Sonntag ist das Rasenmähen laut Vereinsverordnung untersagt. Der Verkehr auf der B 12 jedoch hält sich an keine Regeln. Er rauscht unaufhörlich weiter.
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