Wer Jens Becker fragt, was er beruflich macht, dem antwortet er: „Ich habe ein verglastes Eckbüro und fahre einen 300.000 Euro teuren Dienstwagen.“ Nein, Becker ist kein Top-Manager eines großen Unternehmens, sitzt nicht in einem Hochhausbüro und fährt keinen Luxusflitzer. Der 56-Jährige aus Sonthofen ist Busfahrer beim Regionalverkehr Allgäu (RVA). Den Job macht der gebürtige Düsseldorfer seit über sechs Jahren mit großer Leidenschaft und einer gesunden Portion Humor. „Ich bin Busfahrer mit Leib und Seele. Anders geht es nicht“, sagt Becker.
Doch die Situation beim RVA und anderen Busunternehmen in der Region ist angespannt. Sie alle ächzen unter den hohen Spritpreisen und haben Personalprobleme. Beim RVA seien derzeit etwa 45 Fahrer angestellt, sechs bis acht weitere würden fehlen, erzählt Becker, als wir ihn auf der Fahrt von Oberstdorf nach Füssen ein Stück begleiten.
Aggressive Fahrgäste
Ein Grund für die Personalknappheit sei Stress. Der gehöre, vor allem in der Skisaison, zum Alltag: „Im Winter sind die Busse gerammelt voll, viele Fahrgäste sind genervt“, erklärt Becker. Dann spüre er bei ihnen oft eine „gewisse Aggressivität“. Ein Ereignis ist ihm besonders in Erinnerung geblieben: An der Talstation einer Bergbahn blockierte ein Auto die Wendeplatte. Darauf angesprochen, beschimpfte der Autofahrer Becker derart, dass er die Polizei zur Hilfe rief. „Das ist natürlich die Ausnahme.“ Mitgenommen habe ihn der Vorfall dennoch. Die guten Seiten seines Berufs würden aber bei Weitem überwiegen.
Besonders viel Spaß bereiten ihm die Fahrten mit dem Schulbus. „Die Schüler begrüßen mich mit einem ,Guten Morgen, Jens’. Über die Jahre sieht man sie aufwachsen und wird wahnsinnig wertgeschätzt. Das gibt einem viel zurück“, sagt Becker. Mit wie viel Freude er jeden Tag seinen Job ausübt, wird auf der Fahrt nach Füssen schnell klar. Bei nahezu jedem Fahrgast rutscht Becker ein lockerer Spruch über die Lippen. Am Busbahnhof in Bad Hindelang wird er von Kundinnen und Kunden mit Fragen gelöchert. „Das reicht vom Anschlussbus über die nächste Haltestelle und die Öffnungszeiten des Bäckers bis hin zur Wettervorhersage. Manchen soll ich auch noch die Lotto-Zahlen verraten“, sagt Becker und lacht.
Früh am Morgen geht's los
Zurzeit ist ihm allerdings nicht immer zum Lachen zumute. Aufgrund des Personalmangels fahren er und seine Kollegen deutlich mehr als sonst, erzählt er, während er den zwölf Meter langen Bus die vielen Serpentinen hoch nach Oberjoch lenkt. Im Normalfall arbeite er drei Tage und habe dann zwei frei. Nun müssen die verbliebenen Busfahrer den Mangel kompensieren. „Das bedeutet 190 bis 200 Stunden pro Monat“, sagt Becker. Die gesetzliche Obergrenze liegt bei 210 Stunden. Vor der Fahrt von Oberstdorf nach Füssen ist Becker schon Schulbus gefahren. Los geht’s um 6.47 Uhr im Oberallgäu. Nach einer vorgeschriebenen 45-minütigen Pause in Füssen fährt er weiter nach Hohenschwangau. Dann lenkt er wieder einen Schulbus, ehe nach einer zweiten Pause die Rückfahrt von Füssen nach Oberstdorf ansteht – Ankunftszeit: 18.45 Uhr. „Klar, wir arbeiten viel, gerade zurzeit. Aber wir können außerhalb der Saison auch freinehmen – zusätzlich zum normalen Urlaub“, erzählt er.
Ein Hindernis für potenzielle Neueinsteiger sei das Arbeitspensum aus seiner Sicht aber nicht, anders als der teure Führerschein. Bis zu 12.000 Euro koste dieser mittlerweile. „Den macht dann natürlich niemand einfach so“, sagt der Busfahrer. Er habe seinen vom Arbeitgeber bezahlt bekommen, nachdem er seinen vorherigen Job als Lkw-Fahrer nach einem Bandscheibenvorfall hatte aufgeben müssen – das Einsteigen in die hohen Fahrzeuge sei langfristig zu problematisch gewesen.
Hunderte Passagiere
Nun muss er alle fünf Jahre, genau wie seine Kollegen, einen Medizin-Check absolvieren. Körper und Geist werden unter anderem mit Seh- und Reaktionstests auf die Probe gestellt. Das sei wichtig, sagt Becker, schließlich fährt er täglich Hunderte Passagiere quer durch die Region, in Bussen mit bis zu 15 Metern Länge.
Ein weiterer wichtiger Faktor, um neue Kollegen zu gewinnen, sei das Gehalt. Das müsse erhöht werden. „Zurzeit stehen wir in Tarifverhandlungen. Wir hoffen, dass das etwas bringt“, sagt Becker mit Blick auf den Personalmangel. Nachdenklich wird der 56-Jährige, wenn er in die Zukunft blickt: „80 Prozent unserer Belegschaft ist älter als 50 Jahre. Wie soll das weiter gehen?“ Er selbst will im Rentenalter weiter Busfahren. 50 Stunden pro Woche will er dann Schüler, Touristen und Einheimische von A nach B bringen. Jens Becker ist eben Busfahrer mit Leib und Seele.