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Ein Wohnzimmer für alle Bürger

Müller Horn:

Ein Wohnzimmer für alle Bürger

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    Kempten Museum im Zumsteinhaus
    Kempten Museum im Zumsteinhaus Foto: Matthias Becker

    Nur noch wenige Tage, dann ist die Allgäuer Museums-Landschaft um eine Attraktion reicher: Am Wochenende 7./8. Dezember öffnet das Kempten-Museum. Im Zumsteinhaus, einem herrschaftlichen Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, erzählt die Stadt ihre Geschichte neu. Vorab sprachen wir mit der Museumsleiterin Dr. Christine Müller Horn über ihre Ideen bei der Konzeption.

    Frau Müller Horn, können Sie mit drei Sätzen beschreiben, was die Besucher im neuen Museum sehen werden?

    Sie sehen 2000 Jahre Geschichte von den Römern bis zur Gegenwart. Sie sehen viele Original-Exponate. Und sie begegnen vielen Kemptenern von einst und heute.

    Ist ein Museum eigentlich noch zeitgemäß? Oder müsste Geschichte heute anders vermittelt werden?

    Gerade heute, wo die Menschen viel mit Bildschirmen und Handys arbeiten, haben Originale einen eigenen Reiz. Das Museum ist der Raum, wo sich dieser Reiz entfalten kann.

    Das Museum soll ja erklärtermaßen ein „Wohnzimmer für die Kemptener“ sein. Was meinen Sie damit?

    Man soll sich dort wohlfühlen. Es soll ein Ort sein, den die Kemptener immer wieder besuchen und nutzen, meinetwegen auch für die Mittagspause, um dort einen Kaffee zu trinken. Deshalb verlangen wir ja keinen Eintritt.

    Was soll freier Eintritt bewirken?

    Die Leute sollen das Museum als Wohnzimmer verstehen, als Ort, wo man sich trifft. Würde man Eintritt verlangen, wäre das kein Haus für die Bürger.

    Ist das Museum nur für Kemptener interessant? Oder andersherum gefragt: Warum sollen sich die Allgäuer ein Kempten-Museum anschauen?

    Kempten versteht sich ja als Metropole des Allgäus. Die Allgäuer sollten also die Geschichte ihrer „Hauptstadt“ kennen. Die zweitwichtigste Zielgruppe nach den Kemptenern sind aber die klassischen Touristen, die hier eine Stadtführung machen.

    Was haben Sie gemacht, damit das Museum in etlichen Jahren noch attraktiv ist und nicht als verstaubt gilt?

    Wir holen die Gegenwart ins Museum, damit bleibt es aktuell. Das tun wir mit den Heute-Objekten, also Gegenständen von Kemptenern, und einer Geschichte dazu. Diese erneuern wir jedes Jahr. Außerdem haben wir immer neue Ausstellungen im „Bürger-Raum“ sowie ein Veranstaltungsprogramm, mit dem wir Themen aufgreifen, die die Gesellschaft bewegen.

    Das Kempten-Museum blickt also nicht nur auf die Geschichte, sondern bewusst auf die Gegenwart?

    Ja. Das war eine der zentralen Ideen von Anfang an. Dass ein Stadtmuseum ein relevanter Ort für die Bürger ist und länger als fünf Jahre aktuell bleibt, schafft man nur, indem man die Leute in der Gegenwart abholt. Man muss mit dem beginnen, was sie kennen und ihnen erst dann die Vergangenheit zeigen. Außerdem müssen wir geschichtliche Ereignisse, etwa den Dreißigjährigen Krieg, so präsentieren, dass die Parallelen zum eigenen, heutigen Leben deutlich werden.

    Wo und wie haben Sie sich Inspirationen fürs Konzept geholt?

    Wenn ich reise, schaue ich mir andere Museen genau an. Außerdem fuhr das Museumsteam nach Frankfurt, ins neugestaltete historische Museum. Das ist eines unserer großen Vorbilder. Wir blickten außerdem auf niederländische und englische Museen, weil die schon seit 20 Jahren nicht nur pädagogisch vorgehen, sondern die Besucher interaktiv einbeziehen.

    Was war die Leitidee?

    „Kempten ist Stadt – Kempten ist Städte.“ Wir haben nämlich festgestellt, dass es über die Jahrtausende hinweg mehrere Städte gab: etwa die Römerstadt, die Industriestadt, die moderne Stadt, die Doppelstadt. Und Kempten ist halt im Gegensatz zum restlichen Allgäu nicht Land und nicht Landschaft, sondern es ist seit 2000 Jahren Stadt.

    Sie erzählen die Geschichte Kemptens nicht chronologisch, sondern entlang von Themen. Warum?

    Weil sich ein chronologischer Durchgang nicht anbietet. Durch die Raumstruktur im Zumsteinhaus können wir keine feste Laufrichtung vorgeben. Deshalb haben wir uns auf Themen konzentriert, die schon seit 2000 Jahren relevant sind. Für Leute, die gerne eine Chronologie möchten, haben wir einen Saal „Raum und Zeit“. Da können sie die 100 wichtigsten Ereignisse in der Geschichte sehen.

    Mit wie viel Besuchern rechnen Sie jährlich?

    Anfangs mit 20000 Besuchern, im zweiten Jahr mit 15000 und danach jährlich mit 10000. So etwa war es auch im Allgäu-Museum in Kempten und im Kaufbeurer Stadtmuseum.

    Sie binden die Bürger in die Planung und jetzt dann auch für die Bespielung des Museums ein. Warum vertrauen Sie nicht allein auf Experten?

    Weil unsere Herangehensweise eine andere ist. Ein Stadtmuseum ist für die Bürgerinnen und Bürger gemacht, dann sollen sie auch das Recht haben mitzusprechen. Experten können nicht alleine wissen, was die Kemptener wollen. Unsere Aufgabe ist es, nachzufragen und die Erkenntnisse einzubeziehen. Das soll künftig so bleiben.

    Ist das ein mühsamer Prozess?

    Oh ja. Bürgerbeteiligung ist sehr aufwendig und zeitintensiv..

    Jetzt ist das Kempten-Museum fertig. Wann geht es weiter mit einem Allgäu-Museum, das voriges Jahr geschlossen wurde? Oder hat ein Römer-Museum Priorität – was viele fordern?

    Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Das ist eine Entscheidung der Stadtpolitik, die noch nicht getroffen wurde.

    Wie würden Sie als Museumsleiterin sich entscheiden?

    Wenn man von den Besucherzahlen ausgeht, sollten wir uns auf die Römerzeit konzentrieren. Der Archäologische Park Cambodunum hat 20000 Gäste pro Jahr, wobei das Doppelte möglich ist, wenn man ihn ertüchtigte und ein Römermuseum hätte. Ein Pfund, mit dem wir wuchern müssen.

    Ursprünglich waren für den Umbau des Zumsteinhauses – ohne Inneneinrichtung, die weitere zwei Millionen Euro kostet – fünf Millionen Euro veranschlagt worden. Nun kostet er 6,7 Millionen. Warum diese Steigerung?

    Dafür sind die Überraschungen während der Sanierungsphase verantwortlich ...

    ... diese müsste man doch schon bei der Kostenschätzung eingepreist haben.

    Aber einige bau- und denkmalstechnische Überraschungen konnte man im Vorfeld nicht analysieren. Außerdem war manche Kostenschätzung angesichts des aktuellen Baubooms zu niedrig angesetzt.

    Was fühlen Sie, wenn Sie in diesen Tagen durchs fertige Museum gehen?

    Es ist so geworden, wie ich mir es immer gewünscht habe und wie ein Stadtmuseum sein soll. Ein wahnsinnig schöner Ort, ein warmes Haus, eine vielfältige Ausstellung.

    Interview: Klaus-Peter Mayr und Michael Dumler

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