Behandlungsberichte, Blutwerte, Befunde: Ein Besuch beim Arzt ist mit zahlreichen Unterlagen verbunden. Bislang speicherten die jeweiligen Arztpraxen diese Dokumente auf ihren eigenen Servern. Seit Januar haben Patienten ein Recht auf eine elektronische Patientenakte (ePa). Alle medizinischen Informationen sind dort an einem zentralen Ort digital abgelegt. Das Bundesministerium für Gesundheit verspricht sich dadurch eine bessere medizinische Versorgung. Doch es gibt Ärzte, die an diesem Weg Kritik äußern.
Einer, der sich gegen diese Form der Digitalisierung ausspricht, ist der Grünenbacher Hausarzt Karl Stuhler aus dem Westallgäu. Er findet klare Worte für die Einführung der ePa: „Die Gesundheitsdaten sind in Gefahr und nur die wenigsten wissen Bescheid.“ Eine elektronische Versichertenkarte gibt es seit etwa zehn Jahren. „Der Unterschied ist, wo die Daten gespeichert werden“, erläutert Stuhler.
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Bisher lagen diese auf den Servern der Arztpraxen, die nicht ans Internet angeschlossen waren. 2019 wurde die sogenannte telematische Infrastruktur eingeführt. „Praxen wurden in einem ersten Schritt verpflichtet, Daten der elektronischen Versicherungskarte mit Servern der Krankenkasse abzugleichen.“ Dies geschieht über einen Zugang übers Internet. Ärzte, die sich weigern, müssen eine Strafe zahlen. „Mittlerweile sind das 2,5 Prozent des Umsatzes“, sagt der Westallgäuer Mediziner Stuhler.

Und nun kommt die ePa. Alle Behandlungsdaten, Befunde und Arztbriefe sollen damit endgültig auf zentralen Servern gespeichert werden. „Das ist äußerst unsicher“, glaubt Stuhler. „Medizinische Datensätze werden für viel Geld gehandelt. Wer die Daten hat, bestimmt, wo das Geld hinfließt.“ Stuhler befürchtet, dass die Informationen missbraucht werden, da nun mehr Personen Zugriff haben.
Wird einem Kunden Kredit verwehrt, weil Eltern an Diabetes leiden - und er es auch haben könnte?
Er nennt als Beispiel eine Kreditanfrage. „Was passiert, wenn in das Bewertungssystem der Schufa Gesundheitsdaten einfließen? Wird dann einem Kunden der Kredit verwehrt, weil seine Eltern an Diabetes leiden und ihm somit ein erhöhtes Risiko für eine chronische Erkrankung unterstellt wird?“ Stuhler ist wütend. „Es macht mich sprachlos“, sagt der Arzt, der die Entscheidungen als Politikversagen bezeichnet. „Unsere elementarsten Rechte werden verletzt, intimste Daten preisgegeben.“
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Die Digitalisierung im Gesundheitswesen ist in vollem Gange. Ein neuer Gesetzentwurf sieht unter anderem mehr Videosprechstunden und Fernbehandlungen vor. Ein Arzt soll per Videochat auch Patienten behandeln können, die er nicht kennt.
Für Stuhler ist dies ein Unding. „Denn ein Arzt muss einen Patienten mit allen fünf Sinnen vor Ort untersuchen, um sich ein Bild von ihm machen zu können.“ Zudem befürchtet Stuhler, dass sich junge Patienten an telemedizinische Portale wenden, anstatt den örtlichen Arzt aufzusuchen.
Am Klinikum Memmingen nimmt die Digitalisierung einen großen Stellenwert ein – gerade in Zeiten von Corona, sagt Karin Greiner, die den IT-Service leitet. „Wir arbeiten viel über Videokonferenzen und haben unser eigenes System“, sagt Greiner. Sowohl mit Patienten, als auch mit anderen Kliniken finden Termine virtuell statt. „Oder in der Radiologie: Hier werden Bilder gemacht und auf einem sicheren Weg digital übertragen“, sagt Greiner. Das Klinikum bereitet sich nun auch technisch auf die ePa vor. „Von unseren Patienten wird das Angebot momentan noch nicht genutzt.“
Elektronische Patientenakte: „Der Patient entscheidet“
Die IT-Leiterin sieht in der digitalen Akte durchaus Vorteile für Mediziner und Patienten: „Der Arzt hat dadurch einen guten Überblick und kann die Daten in die Diagnose miteinfließen lassen. Und der Patient hat keine Zettelwirtschaft mehr.“ Greiner sagt aber auch, dass sich Ärzte und Krankenhäuser nicht darauf verlassen dürfen, einen vollumfänglichen Einblick in die Gesundheitsdaten zu bekommen. „Der Patient entscheidet selbst, welchen Anteil er freigibt.“
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Die Daten sind in Memmingen bislang im Krankenhaus-Informationssystem hinterlegt. „Natürlich haben wir auch jetzt schon Schnittstellen mit den Krankenkassen“, sagt Greiner. Zum Datenschutz sagt sie: „Nichts kann zu 100 Prozent sicher sein.“ Doch niemand könne ohne die Freigabe des Patienten und ohne Pin auf die Informationen zugreifen. „Und wir tun alles technisch Mögliche, um das System so sicher zu machen wie nur möglich.“
Das sagt das Gesundheitsministerium zur elektronischen Patientenakte
- Behandlung: Mit der ePa soll die ärztliche Behandlung verbessert werden, sagt Elmar Kramer, Pressesprecher des Bundesministeriums für Gesundheit. „Je besser Ärzte die Krankengeschichte ihrer Patienten nachvollziehen können, desto besser können sie die geeignete Behandlung wählen.“
- Vernetzung: Die ePa vernetze Ärzte, Apotheken und Krankenhäuser. „Statt einer Lose-Blatt-Sammlung in den Praxen sind alle Dokumente auf einen Blick verfügbar.“ So bleibe mehr Zeit für persönliche Gespräche, unnötige Doppeluntersuchungen könne man vermeiden.
- Datenschutz: Die Krankenkassen bieten kostenlos eine App an, mit der Patienten Zugriff auf die ePa haben. Patienten entscheiden selbst, ob sie die ePa nutzen, Krankenkassen müssen die Akte anbieten. Ab 1. Juli 2021 müssen alle Ärzte die ePa befüllen können. Die Akte unterliegt dabei laut Ministerium einem hohen Schutz. „Der Kreis derjenigen, der mit Einwilligung der Versicherten auf die ePa zugreifen darf, ist gesetzlich streng geregelt.“ Ab 2022 sollen Patienten bei jedem einzelnen Dokument festlegen können, ob und wem sie den Zugriff erlauben.
- Verwendung: Doch was passiert mit den medizinischen Informationen? „Ab 2023 können Versicherte Daten der Forschung zur Verfügung stellen – freiwillig und mit Widerrufsrecht“, sagt Kramer. „Patienten erhalten die Möglichkeit, ihre Gesundheitsversorgung aktiver mitzugestalten.“ (gst)