Im Alpenraum rumort es. Eine Erdbebenserie registrierten Seismographen in den vergangenen Tagen im österreichisch-bayerischen Grenzgebiet. Mehr als 40 kleinere Beben wurden in Tirol in der Gegend von St. Johann und Waidring seit Jahresbeginn verzeichnet. Erschütterungen gab es auch zwischen Ehrwald und Imst. Auch das Allgäu war heuer bereits betroffen: Am 3. Januar wurde in Oberstdorf ein Erdbeben der Magnitude (Stärke) 2 aufgezeichnet. Verletzte oder größere Schäden gab es in allen Fällen keine.
Dennoch sorgen die Bewegungen, die sich in mehreren Kilometern Tiefe erieignen, für Gesprächsstoff - auch unter Forschenden: „Erdbebenserien in dieser Region sind an sich nicht ungewöhnlich. Erstaunlich ist jedoch, dass teils recht kräftige Beben von Magnitude 3,0 und größer gemessen wurden“, sagt Joachim Wassermann vom Geophysikalischen Observatorium der Ludwig-Maximilians-Universität in Fürstenfeldbruck unserer Redaktion. Zur Einordnung: Ein Erdbeben mit der Stärke drei ist spürbar, aber in der Regel nicht bedrohlich.
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Sehr genau verfolgen Wissenschaftler auch weiterhin die Situation am Hochvogel, in dessen Gipfel bekanntlich ein tiefer Spalt klafft. Dass der Berg bricht, ist seit über 100 Jahren bekannt. Grund sind starke Spannungen im Fels. „Der Gipfel ist zu steil für das, was das Material aushält“, erklärt Johannes Leinauer vom Lehrstuhl für Hangbewegung an der TU München. Deshalb wird der 2592 Meter hohe Gipfel, der zur einen Hälfte im Allgäu und zur anderen Hälfte in Österreich liegt, minutiös von Forscherteams der TU München und des Geoforschungsinstituts Potsdam überwacht.
Situation am Hochvogel: Spalt im Fels vergrößert sich Jahr für Jahr - riesiger Felssturz wird erwartet
Sensoren melden jede Bewegung. Im vergangenen Jahr öffnete sich der Spalt laut Leinauer erneut um ein bis zwei Zentimeter. Ein starkes Erdbeben könnte diesen Prozess jedoch beschleunigen - und im Extremfall plötzlich den riesigen Felssturz auslösen. „Dazu müsste es laut unserer Berechnungen aber mindestens Magnitude fünf haben und sich in einer Distanz von etwa 20 Kilometern ereignen, was bei uns sehr ungewöhnlich wäre“, sagt Leinauer. Die Vorhersage eines Erdbebens ist nicht möglich.
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Wie berichtet, ist es am Hochvogel bereits mehrfach zu Felsabstürzen gekommen. Die Brocken gingen im Bereich des Bäumheimer Weges auf österreichischer Seite ab, der seit knapp zehn Jahren für Wanderer gesperrt ist. Die Experten erwarten, dass über 260.000 Kubikmeter Fels abbrechen könnten. Der bröckelnde Teil des Gipfels soll sich demnach nach Süden, also auf die Tiroler Seite, lösen. Den nächstgelenen Ort, Hinterhornbach im Lechtal, sollen die Gesteinsmassen den Berechnungen zufolge aber nicht erreichen.
Erdbebenserie im Alpenraum: So entstehen die Erschütterungen - Experte erklärt das Phänomen
Erdbeben entstehen, wenn sich Spannungen entladen, die sich tief im Erdreich aufgebaut haben. „Im Alpenraum passiert das durch das Drücken der Afrikanischen Platte auf die Eurasische Platte“, sagt Wassermann. Wenn das Gestein den Druck nicht mehr aushält, bricht es. Dabei orientiere es sich an alten Brüchen. Die Erde bebt.
Die scheinbare Häufung der Erdbeben im Alpenraum erklärt Wassermann auch damit, dass es heute viel mehr Messstationen als früher gebe. Allein in Bayern sind es 30. Übrigens: das stärkste Erdbeben im Allgäu ereignete sich am 30. Dezember 1917. Damals wurde Magnitude 4,5 gemessen. Noch stärker erzitterte die Erde am 7. Oktober 1930 in Namlos im Bezirk Reutte (Tirol). Ein Erdbeben mit Stärke 5,3 führte zu teils großen Schäden an Kirche und Häusern in dem kleinen Ort. Die Stärke von Erdbeben wird mit Seismographen gemessen. Diese Geräte zeichnen die Stärke von Bodenbewegungen auf, die sogenannte Magnitude. Das heftigste bisher gemessene Beben hatte 1960 in Chile eine Magnitude von 9,5.