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Gold im Hals

Oberstdorf

Gold im Hals

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    Jay Alexander
    Jay Alexander Foto: Günter Jansen

    Immer wenn „Der Bergdoktor“ über den Bildschirm flimmert, sitzt Jay Alexander mit seiner Tochter Johanna vor dem Fernseher. Es sei denn, der Sänger muss auf der Bühne stehen. „Das ist unser kleines Fernsehritual“, erzählt der 47-Jährige. Denn seine zehnjährige Tochter schwärme für den Hauptdarsteller. Solche Fernsehrituale gab es früher viele – verbunden mit beliebten Serien, sagt Jay Alexander und denkt zurück an seine Kindheit. Die Titelmelodien wecken in ihm noch heute viele Erinnerungen, und sie haben ihn zu seiner neuen CD inspiriert: „Serienhits“. Die liegt auf dem runden Tisch in seiner Oberstdorfer Wohnung.

    Seit sechs Jahren hat der Tenor, der mit Klassik und Pop bekannt geworden ist, ein Domizil im Oberallgäu und verbringt dort soviel Zeit wie möglich. „Die Kinder werden mit Oberstdorf groß“, erzählt er. So wie einst seine Frau. Er dreht sich um und deutet aus dem Fenster: Im Haus gegenüber hatten ihre Großeltern eine Ferienwohnung. Und ihn selbst erinnere dieser Ort an jenes Dorf bei Pforzheim, in dem er aufwuchs: die Ruhe, die Luft, die Natur. All das schätzt er. Und natürlich die Menschen: Sie seien geradlinig. „Es macht einfach Spaß hier“, sagt er und strahlt.

    Bevor er den Weg auf die Bühne gefunden hatte, arbeitete er als Offsetdrucker. Schon während der Ausbildung in diesem Beruf nahm er Gesangsunterricht. Ein Wettbewerb an der Oper Leipzig brachte ihm ein Stipendium ein: „Ihnen hat der liebe Gott Gold in den Hals geschissen“, meinte ein Mitglied der illuster besetzten Fachjury: Imre Fabian, der mittlerweile verstorbene einstige Chefredakteur der „Opernwelt“. Jay Alexander erinnert sich, dass er damals verdutzt reagierte und erst allmählich begriff, dass dieser Satz als Kompliment gemeint war.

    Er nutzte das Geld, um sich ein Jahr lang auf die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule in Karlsruhe vorzubereiten. Am dortigen, renommierten Staatstheater erhielt er später auch sein erstes Engagement. Gastverträge führten ihn dann unter anderem an die Deutsche Oper am Rhein und an die Hamburgische Staatsoper. Doch bald kehrte er der Opernbühne den Rücken.

    Es habe immer wieder Anfragen gegeben, ob er nicht bei dieser oder jener Gala singen könne. Das hätte er gerne getan, doch feste Bühnenverträge vereitelten es meist. 1997 gründete er mit dem Bariton Marc Marshall, dem Sohn des Schlagersängers Tony Marshall, ein Duo. Als „Marshall und Alexander“ verbinden beide Sänger bis heute Klassik und Pop. Sehr erfolgreich: Vier ihrer neun Alben wurden vergoldet. Das Duo ist weltweit unterwegs.

    Doch Jay Alexander will sich nicht in Schubladen zwängen lassen. Seit 2008 geht er auch eigene Wege. Bei einem Schubert-Liederabend in Japan hatte er ein Schlüsselerlebnis: Die Zuhörer konnten die deutschen Volkslieder, die er dabei präsentierte, mitsingen, erzählt er. Wäre das auch in Deutschland so? Er nahm eine CD mit Volksliedern auf, begleitet von einem großen Orchester. Sie wurde, wie er sagt, zu einem „Achtungserfolg“. Das zweite Soloalbum mit Gesangbuchhymnen habe sich zwölf Wochen auf Platz eins der deutschen Klassikcharts behauptet, das dritte mit Filmmusik der 1940er bis 1960er Jahre neun Wochen. Und auch das neue, vierte Album sei gut eingestiegen.

    Jovanka von Wilsdorf hat Texte zu den Filmmelodien geschrieben und aus ihnen Lieder gemacht. Die Arrangements für großes Orchester stammen von René Möckel. Sie fordern manchmal auch die Stimme des Opernsängers. Und sie orientieren sich stets am Original, mit dem Jay Alexander meist viele Erinnerungen verbindet: die erste Liebe, das erste Mofa, den ersten Herzschmerz. Im Begleitheft der CD, das aufwendig gestaltet ist, fügt er jedem Titel eigene Gedanken bei. Er erzählt, wie er zum Beispiel als Achtjähriger gebannt jede Folge des Weihnachtsmärchens „Timm Thaler“ verfolgte, des Jungen, der sein Lachen an einen diabolischen Baron verkauft. Noch heute glänzen Alexanders Augen, wenn er von der Serie erzählt – und all den anderen, die ihn begeistert haben: von „Derrick“ bis „Freunde fürs Leben“, von der „Schwarzwaldklinik“ bis „Traumschiff“. Manche der Stars, die dabei mitwirkten, hat er später kennengelernt, ebenso wie die Fernsehbranche.

    Bei der sieht er heute manches kritisch, etwa den Trend, „auf Teufel komm raus alles zu verjüngen“. Das führe dazu, dass manche Musikrichtungen vernachlässigt werden. Für ihn, der auf vielen Feldern unterwegs ist und im Herbst auch das Verdi-Requiem singt, ist eines wichtig: dass den Menschen bei der Musik die Augen aufgehen – und vielleicht auch das Herz.

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