Ottobeuren Wie gut biblische Stoffe in Oratorien funktionieren, hatte Händel (nicht nur) mit dem „Messias“ bewiesen. Joseph Haydn war tief beeindruckt von einer Aufführung dieses Werkes in England – und fühlte sich herausgefordert, Ähnliches auch in deutscher Sprache zu leisten. Seine „Schöpfung“, komponiert in den Jahren 1796 bis 1798, war nun zum 14. Mal in der Basilika Ottobeuren zu hören – zum ersten Mal im Originalklang, also mit historischen Instrumenten. Unter Leitung von Martin Haselböck gelang eine sensationelle Aufführung.
Alle musizieren glänzend: die Sängersolisten, das Orchester, der Chor
Man weiß nicht, wen man mehr loben soll: die drei Gesangssolisten als Erzengel, das Orchester „Wiener Akademie“, den „Chorus sine nomine“ oder den Dirigenten, der alle in perfekter Balance vereinte. In fesselnder, quicklebendiger Aufführungspraxis entpuppte sich Haydn als universaler Geist, dem es gelang, Welten zu verbinden und kunstvoll zu verspannen: vom revolutionären Beginn des vertonten Chaos über die großartig barocken Gesten der Abschluss-Fugen, die alle drei Teile beenden und stützen wie Strebepfeiler einer Kathedrale („Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“), bis zu den vollmundigen Melodien der Arien, prall und farbig wie naive Gemälde.
Florian Boesch kann den Charakter seiner Stimme wunderbar variieren
Beginnen wir mit dem Bassbariton Florian Boesch. Unglaublich, wie er den Charakter seiner Stimme variieren kann. Das erlebte man schon in seinem ersten Rezitativ mit der Beschreibung der kreativen Urgewalten. Er ließ die „brausend heftigen Stürme“ mit schneidender Schärfe toben, den „allerquickenden Regen“ und den „leichten, flockigen Schnee“ mit linder Kopfstimme. Den „weit gedeeehnten“ Strom beschreibt Boesch genauso klangmalerisch wie den „Herrn der Insekten“ mit einem langen, brummig-stimmhaften S – was genauso für Schmunzeln unter den Zuhörerinnen und Zuhörern sorgte wie gleich drauf das lange, eklige Ü beim „Gewürm am Boden“.
Keine Kraftmeierei, sondern liebevolle Energie
Die vielleicht größte Leistung vollbrachte Boesch in seiner Aria von der Erschaffung des Menschen, entworfen als jenes Wesen, „das Gottes Werke dankbar seh’n, des Herren Güte preisen soll“. Nicht kraftmeiernd kamen diese Zeilen, sondern mit einer liebevollen Energie, die man nur als spirituell bezeichnen kann.
Das war Gesangskunst, nicht von dieser Welt. Eine tiefe Stimme von seltener Präsenz und Eindringlichkeit.
Genauso ausführliches Lob verdienen die aus Indien stammende Sopranisten Sherezade Panthaki und der polnische Tenor Jan Petryka. Ihre strömend-natürlichen Stimmen, auch in der Höhe nie angestrengt, waren ein Hochgenuss. Wenn sich die Solisten zunächst als Terzett und dann mit dem Chor vereinten, erlebte man ein Fest des Gesanges. Als Adam und Eva im dritten Teil fanden Boesch und Panthaki eine stimmige Balance zwischen darstellerischem Feuer und künstlerischer Ernsthaftigkeit. Sogar für problematisch-zeitbezogene Sätze über die Rolle von Mann und Frau (Adam: Komm folge mir, ich leite dich – Eva: Dein Will’ ist mir Gesetz) fanden sie die richtigen Register in Stimme und Seele.
Bei solcher Musik haben das Böse und Banale keinen Platz
Und so erlebten die Zuhörer einen erquickenden Nachmittag in einer paradiesischen Welt, wo das Böse und Banale keinen Platz haben. Die „Schöpfung“ in Verbindung von Herz und Hirn, Lebensfülle und Weisheit groß realisiert zu haben, mit der nötigen Emotion, ja Pathos, aber nie in die Nähe von Kitsch oder Übertreibung geraten zu sein, war die faszinierende Leistung dieser Aufführung. Da schwebte nicht der Geist Gottes über den Wassern, wie von Luther falsch übersetzt, sondern „brüteten die Schöpfungsgeister“, wie es in der Genesis tatsächlich heißt.
Dass die Schöpfung in Ottobeuren bereits zwei Jahre nach der Uraufführung erklang, 1801 im Kaisersaal, sei genauso erwähnt wie die Tatsache, dass sich unter den Zuhörern diesmal auch ein Ehepaar befand, dass 1946 schon die erste Aufführung in der Basilika miterlebt hatte – damals noch auf der Orgelempore. Ins Kirchenschiff ging es erst 1953. Lebendiger kann Tradition nicht sein.