Tracht modern interpretiert – geht das überhaupt? Die traditionelle Tracht ist den meisten Allgäuer schließlich heilig. Dass es auch ausgefallen und modisch geht, beweisen Tobias Schaber und Benny Steiner. Der eine ist Trachtenspezialist und kennt sich mit den aktuellsten Trends aus, der andere kreiert nachhaltige Mode, die entfernt an die Allgäuer Tracht angelehnt ist. Beide erklären, warum moderne Trends bei ihnen nicht ohne Rückbesinnung auf das Traditionelle funktionieren.
„Es gibt natürlich die klassische Allgäuer Tracht – die ist, wie sie ist“, sagt Tobias Schaber. Er führt gemeinsam mit seinen Eltern das Trachtenhaus Schaber in Immenstadt. Er weiß, was geht – und was nicht: Edelweißhosenträger sollten nicht mit einem blau karierten Hemd kombiniert werden. Laut Schaber ein absolutes „No-Go“. „Da schauen wir, dass das nicht neu interpretiert, sondern die Tradition fortgeführt wird.“ Einem Touristen würde der Unternehmer nie eine Allgäuer Tracht empfehlen – und ihn damit verkleiden. Also lässt sich an der Tradition doch nicht rütteln?
„Auf der anderen Seite findet die Tracht immer mehr im Alltag statt“, sagt Schaber. Trachtenweste und -hemd ließen sich gut mit einer Jeans kombinieren, Trachtenröcke zu einer schicken Bluse. „Ohne, dass man schief angeschaut wird.“ Bei Dirndl, Hemd und Weste liegen elastische Stoffe im Trend. Damit ist nach dem halben Hendl auch locker noch eine halbe Maß drin.
In diesem Jahr waren bei den Dirndln zudem florale Muster angesagt, bei Blusen liegt Spitze im Trend – gerne farbig passend aufs Dirndl abgestimmt. Das durfte heuer auch gerne knallig gelb sein. „Bei den Männern sieht man jetzt viele Muster in gedeckten Farben, Stehkragenhemden und kurze Lederhosen“, sagt Schaber. Die „Krachlederne“ kommt ebenfalls in neuem Design daher – beispielsweise ohne Stickerei, als lässige Bermuda oder gar aus grobem Cord. Moderne Tracht? „Das passt absolut“, sagt Tobias Schaber.
Puristisch und zeitlos-modern interpretiert die Textil-Marke „Grenzgang“ aus Obermaiselstein und Bozen das Thema „alpenländische Kleidung“. „Ohne dabei trachtig zu wirken“, sagt Benny Steiner, der die Marke 2014 gemeinsam mit der Entwicklungs-Agentur Einstein Consulting kreiert hat. Rock „Lilli“ erinnert entfernt an einen Trachtenrock, Strickjacke „Elly“ an eine moderne Form des Jankers. Auch die verwendeten Stoffe sind dem Trachten-Bereich entnommen.
Das Besondere: Die beiden Frauenkollektionen im Sommer und Winter werden in einem Umkreis produziert, der höchstens fünf Autostunden vom Brenner entfernt liegt – umweltfreundlich, aus nachwachsenden Rohstoffen und in hochwertiger Qualität. Beispielsweise auf der Schwäbischen Alb oder in Südtirol. Auch der Großteil der zertifizierten Materiallieferanten kommt aus diesem Gebiet. „Wir wollen die Lieferwege so kurz wie möglich halten“, sagt Steiner. Nur die weiche Lammwolle kommt aus Südamerika. „Die Allgäuer Wolle ist einfach zu kratzig.“
Die Idee zu „Grenzgang“ kam Steiner bei Projekten für Outdoor-Textilien. „Gerade dort ist das Material kaum noch aus nachwachsenden Rohstoffen.“ Dem wollte er etwas entgegensetzen und zudem ein Bewusstsein für regional gefertigte Produkte und Handwerksarbeit schaffen. Das hat für Steiner dann auch wieder etwas mit Tradition zu tun. „Wir möchten einen Gang zurückschalten. Die Geschwindigkeit in der Mode ist enorm.“ Ein Trend folge auf den nächsten, Kleidung habe enorm an Wert verloren. „Wir wollen zeitlose Produkte entwickeln, die man lange tragen kann.“ Das hat allerdings seinen Preis: Ein T-Shirt kostet bei „Grenzgang“ schon mal 119 Euro, die Jacke aus Tiroler Wolle 500 Euro. Doch die Marke hat mittlerweile treue Kunden, die die Philosophie hinter den Teilen schätzen – und laut Steiner immer jünger werden. „Seit vergangenem Jahr ist Grenzgang für uns auch finanziell rentabel.“ Für Herbst 2020 ist die erste Männerkollektion geplant.
Nicht nur im Design und in der Produktions-Philosophie lassen sich Tracht und Moderne vereinen. Das Trachtenhaus Schaber hat heuer seinen „Trachtenkonfigurator“ eingeführt. Damit können die Verkäufer mit dem Kunden Bekleidungskonzepte am Tablet entwickelt. Das fertige Ergebnis wird visuell dargestellt. „Wir versuchen allgemein Prozesse bei uns zu digitalisieren, um wieder mehr Zeit für den Kunden zu haben“, sagt Tobias Schaber. Denn gute Beratung ist ja auch eine Form von Tradition.