Der Sankt-Michael-Chor und die Oberallgäuer Orchestervereinigung beeindrucken unter der Leitung von Heinrich Liebherr in Sonthofen mit Haydns Passions-Oratorium.
Bild: Günter Jansen
Der Sankt-Michael-Chor und die Oberallgäuer Orchestervereinigung beeindrucken unter der Leitung von Heinrich Liebherr in Sonthofen mit Haydns Passions-Oratorium.
Bild: Günter Jansen
Fast wäre es ein Doppeljubiläum geworden: Der Sonthofer Sankt-Michael-Chor feiert heuer sein 300-jähriges Bestehen, und Joseph Haydn wurde vor 290 Jahren geboren. Was die späte Kirchenmusik dieses Großmeisters der Wiener Klassik auszeichnet, das macht der Auftakt der Sonthofer Jubiläumsfeiern deutlich: die Aufführung des Passionsoratoriums „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“ durch den Sankt-Michael-Chor und die Oberallgäuer Orchestervereinigung in der Stadtpfarrkirche. Unter der Leitung von Heinrich Liebherr gelingt den Laien-Sängern und Laien-Musikern eine ausdrucksstarke Wiedergabe des Werkes, die dessen Reichtum an Stimmungen, dessen melodische Schönheit und dessen kraftvolle Klangsprache verdeutlicht.
Im Zentrum des Werkes stehen die letzten Sätze, die Jesus nach den Überlieferungen der Bibel vor seinem Tod am Kreuz gesprochen haben soll. Jeder dieser Sätze wird vom Chor zunächst in schlichter Choralform vorgetragen und dann mit weiteren Gedanken vertieft. Sie schildern Schmerz und Trauer, Wut und Verzweiflung über das Leiden Jesu, weiten aber auch den Blick auf die christlich religiöse Bedeutung des Geschehens: die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tode, die Hoffnung auf einen verzeihenden und gütigen Gott, der die Sünden vergibt und den Menschen den Weg in ein paradiesisches Jenseits weist. So durchziehen auch jeden der sieben musikalischen Abschnitte frohe, lichte Momente, in denen sich solche Hoffnung Bahn bricht.
Die Sonthofer Sänger und die Oberallgäuer Musiker verstehen es dabei, jedem dieser sieben Sätze einen eigenständigen Charakter zu geben.
Das liegt vor allem an dem mit großer Begeisterung singenden Sankt-Michael-Chor, dem förmlich die Freude anzumerken ist, nach zweijähriger pandemiebedingter Pause endlich wieder ein großes Werk aufführen zu dürfen. Er gestaltet seinen umfangreichen Part eindringlich, packend und mit schöner Differenzierungskunst. Bei der kommen auch die Männerstimmen immer wieder zur Geltung, deren Register – im Verhältnis zu den Frauenstimmen – zahlenmäßig schwach besetzt sind.
Die vier Solisten (Brigitte Neve, Sopran, Gabi Nast-Kolb, Alt, Bernd Neve, Tenor, und Fabian Reitzner, Bass) sind inmitten des Chores platziert und in den Gesamtklang gleichsam eingebettet. Von dort aus sorgen sie immer wieder für vor allem innige, einfühlsame Akzente. Besondere Bedeutung kommt dabei dem Tenor zu, der im fünften Satz anstelle des Chores das Leitwort „Jesus rufet: Ach, mich dürstet“ solistisch vorzutragen und in der nachfolgenden gedanklichen Vertiefung zu wiederholen hat. Bernd Neve interpretiert diese musikalische Schlüssel-Passage bewegend und stilsicher.
Den Klanggrund für solche sängerischen Leistungen legt die Oberallgäuer Orchestervereinigung. Dirigent Heinrich Liebherr hält die Instrumentalisten von Anfang an zu einer sehr plastischen Klangsprache an – ganz im Sinne einer historisch informierten Aufführungspraxis. So skizziert bereits die Orchestereinleitung zum ersten Teil des Oratoriums einen von tiefer Erschütterung und schmerzlicher Ergriffenheit charakterisierten Ton. Er schlägt den Bogen zum rein instrumentalen Finale, das den Aufruhr der Gefühle in der musikalischen Schilderung einer Naturkatastrophe zusammenfasst, eines Erdbebens. Es zeigt in seiner intensiven, packenden Gestaltung noch einmal, zu welchen Leistungen dieses Ensemble fähig ist. Nach dem Klang der Kirchenglocke, die diese Aufführung in der ausverkauften Stadtpfarrkirche beendet, folgt der starke Applaus der Zuhörerinnen und Zuhörer, die sich vor der Leistung der Interpreten erheben.
Der Sonthofer Sankt-Michael-Chor.