Federleicht“, Collage von Hildegard Simon aus Hinterstein, zu sehen im Kurhaus Fiskina in Fischen.
Bild: Klaus Schmidt
Federleicht“, Collage von Hildegard Simon aus Hinterstein, zu sehen im Kurhaus Fiskina in Fischen.
Bild: Klaus Schmidt
Wann ist der Kipp-Punkt erreicht? Diese Frage stellen sich Wissenschaftler bei so mancher Krise. Etwa bei der Klimakrise. Für Elke Wieland steht der Kipp-Punkt unmittelbar bevor. Die Bildhauerin aus Immenstadt balanciert ihre Skulpturen zu diesem Thema am Rande des Abgrunds – unmittelbar vor dem Absturz, wie etwa bei der Installation „Kipp-Punkt 3“.
Sie ist eine der Arbeiten, die in der Ausstellung der Künstlergruppe „Eigenart 21“ die Blicke auf sich zieht. Ein formvollendetes, kunstvolles Gebilde aus schwarzem Alabaster, das auch Durchblick gewährt, droht zu zerschellen. Solche Katastrophe droht auch noch einem ähnlichen Objekt, das nun zusätzlich aus der unterschiedlichen Oberflächenbehandlung zwischen polierten und behauenen Flächen Spannung gewinnt. Sie beherrschen auch die symbolhafte Darstellung der Lebensfrucht in Cristallina-Marmor.
Mit ihren wenigen Objekten umreißt Elke Wieland die Perspektive dieser Ausstellung. Sie lautet – dem Titel gemäß – „Nah dran jetzt“. Und in der Tat nehmen einige der Arbeiten Stellung zum Zeitgeschehen. Kristin Kaeser aus Sonthofen zum Beispiel erinnert in ihren Arbeiten an die Vergänglichkeit von Architektur und Industrialisierung. Alles ist dem Zahn der Zeit unterworfen, wie ihre Fotografie „Rückbau 2“ besonders eindringlich an einem zerstörten Pappmodell von Treppenaufstiegen deutlich macht.
„Stürmische Zeiten“ haben Ingrid Kämmerle aus Gailenberg bei Bad Hindelang zu einem Zyklus kleiner quadratischer abstrakter Bilder inspiriert, in denen vor allem der wilde Farbauftrag von Schwarz, Weiß, Grau und Rose die emotionale Bewegtheit der Künstlerin offenbart.
Zur Abstraktion tendierende Kompositionen präsentiert auch Hildegard Simon aus Hinterstein bei Bad Hindelang. Doch ergeben sich bei ihr aus dem freien Spiel mit Farbe und Fläche beeindruckende Assoziationen etwa an eine Himmelserscheinung in „Supernova“ oder an ein in der Luft gaukelndes Gebilde bei der Collage „Federleicht“.
Das Gemälde „Im Moor“ lenkt dann bei aller Stilisierung doch wieder den Blick auf die realistische Darstellung, wie sie sich in Elke Matthiesen-Streichers Bildern verschlüsselt wiederfindet – etwa in Form von stilisierten Ornamenten wie Blättern oder Zweigen. Wer genau hinsieht, vermag etwa im Bild „Schaukelsommer“ der Weitnauer Malerin tatsächlich ein zwischen dichten Farben skizziertes Kind zu erkennen, das sich freut, in einem üppigen Garten munter schaukeln zu können. Dabei wird es von einer anderen Gestalt beobachtet. Beschützt oder gefährdet sie das Kind? Unsere an Gewaltexzessen so reiche Zeit lässt alle Möglichkeiten offen.
Schutz bieten da nur feste Häuser, undurchdringlich wie sie der Bildhauer Wolfgang Keßler aus Immenstadt aus Travertin gestaltet hat. Im Format von kleinen Modellen erwecken sie die Illusion der ungetrübten Idylle, des kleinen Glücks in einer scheinbar immer mehr aus den Fugen geratenden Welt. Doch auch diese Idylle ist brüchig. Denn das Material, aus dem sie gefertigt ist, stammt aus dem Iran. Einem Staat, in dem Menschenrechte unterdrückt werden und ein normales Familienleben in Freiheit nicht möglich ist.I
Die Welt scheint nicht nur an diesem Ort in „Schieflage“ geraten zu sein, sondern an vielen. Doch die gleichnamige Skulptur von Ingrid Städeli aus Zürich vermittelt auch Hoffnung. Vermag auch das schwarze Gefäß aus Basalt eine Schräge aufzuweisen, so lagert doch immer noch eine weiße Kugel sicher in ihm.
Wollen wir hoffen, dass sich die Schieflage vielleicht wieder stabiliert, oder zumindest sich nicht so verändert, dass die Kugel ihren Halt verliert und ins Ungewisse rollt …
„Nah dran jetzt“, Ausstellung der Künstlergruppe Eigenart 21, Kurhaus Fiskina in Fischen, bis 8. November, täglich von 9 bis 17 Uhr.