Im Rampenlicht: Julian Schmid sammelte in diesem Winter 794 Weltcup-Punkte – mehr als in seinen ersten vier Saisons zusammen.
Bild: Dominik Berchtold
Im Rampenlicht: Julian Schmid sammelte in diesem Winter 794 Weltcup-Punkte – mehr als in seinen ersten vier Saisons zusammen.
Bild: Dominik Berchtold
Er mag sie nicht, die Rolle des Jägers. Ob er es will oder nicht – Julian Schmid hat sie sich erarbeitet. Im Eiltempo und eindrucksvoll. Ausgerechnet beim anstehenden Heimweltcup in Oberstdorf geht der 23-jährige Nordische Kombinierer am Wochenende als deutsche Nummer eins und als erster Verfolger des Weltcup-Führenden Johannes Lamparter ins Rennen.
„Das sagen die Zahlen, ja, aber ich fühle mich nicht als Jäger“, sagt Schmid. „Ich weiß, dass viel gehen kann, wenn ich meine Sprünge mache. Aber hier vor der Heimkulisse wäre es schon ein Traum, auf dem Podest zu landen. Auch einstellige Resultate wären ok.“ Diese sammelte Schmid zuletzt am laufenden Band: Exakt einmal landete der Athlet vom SC Oberstdorf bei 20 Starts in dieser Saison nicht in den Top Ten.
Angesichts dieser imposanten Konstanz ist es erstaunlich, dass der aufstrebende Kombinierer derart tiefstapelt. Zumal Schmid in Oberstdorf mit einer besonderen Serie im Rücken selbstbewusst auflaufen kann: Beim Seefeld-Triple holte er sein persönliches Podest-Triple als Dritter, Dritter und Zweiter und untermauerte seine Rolle, richtig, als Jäger. „Ich freue mich über jeden Podestplatz, das ist nie selbstverständlich“, sagt der 23-Jährige. „Die Leistungsdichte ist so unglaublich groß, da kann auch die Freude über einen neunten Rang mal groß sein. Man muss es zu schätzen wissen, wenn man in der Spitze dabei ist.“
Darauf scheint der gebürtige Oberstdorfer in seiner fünften Weltcup-Saison ein Abonnement zu haben. Der Weg dahin war so aber lange nicht vorgezeichnet. Mit sechs Jahren begann Julian Schmid – wie das Gros der Oberstdorfer – bei Thade Thannheimer mit dem Langlaufen, ehe mit acht Jahren das Skispringen dazukam. „Das Springen lief gut, beim Laufen ging lange nichts. Aber ich wusste, dass ich mehr brauche, als nur das Skispringen“, sagt Schmid. „Etwas, bei dem ich mich auspowern kann.“ In den Teenagerjahren arbeitete er intensiv und akribisch im Laufbereich, bis sich auch hier nach und nach Erfolge einstellten.
Allerdings dauerte es bis zur ersten großen Enttäuschung 2018, ehe es beim heutigen Star-Kombinierer „richtig klick gemacht hat“, erzählt Schmid. „Ich war für die Junioren-WM in Kandersteg nominiert, hatte aber nur einen Start im Team. Das hat mich so sauer gemacht, dass ich mir vorgenommen habe, dass mir das nie wieder passiert.“ Schon im Jahr darauf krönte er sich in Lahti zum zweifachen Junioren-Weltmeister. Schmid legte einen Gang zu, arbeitete nach Thomas Müller verstärkt mit Constantin Kreiselmeyer – trainierte mehr, härter und bewusster.
In den Folgejahren erlebte der Oberstdorfer einen rasanten Aufstieg. Positive Tendenzen ergaben sich schon nach dem Wechsel von Sprungtrainer Ronny Ackermann zu Heinz Kuttin. Dieser Trend verfestigte sich in der Saison 2020/21 mit einigen Top-20-Platzierungen – zu oft allerdings vermasselte Schmid in der Loipe die zuvor gute Ausgangslage nach dem Sprung. Das änderte sich im Herbst 2021: Beim Weltcup in Rukka hatte der 1,80 Meter große Athlet erstmals die beste Laufzeit und wurde Fünfter. „Ab da habe ich gemerkt, dass was geht“, sagt Schmid. „Die Lücke im Springen wurde kleiner, im Laufen habe ich es öfter geschafft, meine Kräfte so einzuteilen, dass ich hintenraus noch Körner habe.“
Die Leistungsexplosion kündigte sich an. Bei Grand-Prix-Platzierungen, bei deutschen Meisterschaften, bei Continental-Cups und bei den Gesamtplatzierungen im Weltcup zeigt Julian Schmids Kurve steil nach oben. Mit der aktuellen Ausbeute von 794 Weltcup-Punkten hat der 23-Jährige allein in dieser Saison schon mehr Zähler gesammelt als in seinen ersten vier Saisons in Summe (642).
Und so werden auch heuer beim Heimweltcup viele Augen auf die Aushängeschilder Johannes Rydzek und Vinzenz Geiger gerichtet sein – aber auch viele auf Julian Schmid. „Ich bin entspannt und ausgeglichen, weil ich weiß, was ich draufhabe. Das haben mir die vergangenen Wochen gezeigt“, sagt der zweifache Weltcup-Sieger. „Wenn ich mir das Rennen gut einteile, kann hintenraus alles gehen.“ Die Rolle des Jägers mag Julian Schmid wirklich nicht – vielleicht ist er schon bald der Gejagte.