„Jeder Mensch kann in eine psychische Notlage geraten. Solche Krisen dürfen kein Tabu mehr sein“, sagt die Sozialpädagogin. Barbara Holzmann.
Bild: Alexander Kaya
„Jeder Mensch kann in eine psychische Notlage geraten. Solche Krisen dürfen kein Tabu mehr sein“, sagt die Sozialpädagogin. Barbara Holzmann.
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Es ist eine Situation, in die Eltern nicht kommen wollen: Das erwachsene Kind ist nicht mehr ansprechbar, sperrt sich in sein Zimmer ein und spricht wirres Zeug. In solchen Notlagen können Mütter und Väter, aber auch andere Angehörige oder Freunde, jetzt den „Krisendienst Schwaben“ rufen. Den gibt es als Versuch bereits seit Anfang des Jahres und offiziell seit Anfang März. Dass dieser mobile Dienst eine „notwendige Ergänzung der bestehenden psychiatrischen Einrichtungen ist“, kann die Immenstädter Bezirksrätin Barbara Holzmann aus eigener Erfahrung bestätigen. Die kostenlose Rufnummer des Krisendienstes: 0800/65 53 000.
Sozialpädagogin Holzmann ist angestellt beim Sozialpsychiatrischen Zentrum (SPZ) in Immenstadt und arbeitet selbst im Krisendienst. Seit Januar wurde sie schon zweimal zu Menschen in einer psychischen Notlage gerufen. Darunter war auch der Fall der verzweifelten Eltern und ihrem Kind, das hoch psychotisch war. Der Krisendienst kommt in solchen Fällen immer mit zwei Mitarbeitern des SPZ, die in der Psychiatrie erfahren sind. Ihre Kollegin beriet die Eltern, wie es weitergehen soll, Holzmann sprach mit dem jungen Menschen. Schließlich konnte ihm mit einer stationären Behandlung geholfen werden.
„Wir arbeiten niederschwellig, unbürokratisch und garantieren natürlich anonyme Hilfe“, sagt Holzmann. Gemeinsam mit den SPZ-Diensten Kempten und Lindenberg decken sie die Stadt Kempten und die Landkreise Oberallgäu und Lindau ab. Dazu mussten alle Mitarbeiter eine besondere Ausbildung absolvieren. Ziel sei es, durch eine frühzeitige Intervention zu verhindern, dass aus einer psychischen Krise eine längere Krankheit wird. So soll verhindert werden, „dass Menschen Suizid begehen, weil sie keinen Ausweg mehr sehen, oder gegen ihren Willen in eine geschlossene Klinik eingewiesen werden müssen“, sagt die Sozialpädagogin.
Als Vizepräsidentin des Bezirkstags hat die frühere Leiterin des Sozialpsychiatrischen Zentrums Oberallgäu die Einführung des Krisendienstes in Schwaben schon 2013 im Bezirkstag beantragt. Damals wurde der Antrag der Grünen-Bezirksrätin noch abgelehnt. Doch 2018 trat ein neues Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz in Bayern in Kraft. Und darin wurde ein solcher Krisendienst landesweit gefordert. Die kostenlose Hilfe gibt es jetzt in Schwaben mit einer Leitstelle in Augsburg. Sie ist derzeit von Montag bis Freitag von 8 bis 16 Uhr unter Telefon 0800/65 53 00 erreichbar. Ab Juli sollen die Zeiten laut der Bezirksrätin ausgeweitet werden und dann rund um die Uhr zur Verfügung stehen – 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche und auch an Wochenenden und Feiertagen.
In der Leitstelle arbeiten Fachkräfte der Sozialpädagogik, Psychologie und Psychiatrie. Sie versuchen zunächst, im Telefongespräch weiterzuhelfen. Ist das nicht möglich, werden die SPZ-Mitarbeiter alarmiert. Sie sind derzeit in einem Tag-Geh-Dienst mit einer Bereitschaft von Montag bis Freitag, von 9 bis 16 Uhr. Auch ihre Dienstzeiten sollen erweitert werden. Nach den bisherigen Erfahrungen sei das laut Holzmann in etwa 20 Prozent der Anrufer der Fall. In sieben Notlagen musste das SPZ Oberallgäu seine Mitarbeiter bereits losschicken.
Sie versuchen dann, vor Ort einzugreifen. „Jeder Mensch kann in eine solche Notlage geraten“, sagt die 61-jährige Holzmann: „Psychische Krisen dürfen kein Tabu mehr sein.“ Situationen, aus denen die Betroffenen keinen Ausweg mehr wissen, können aus den verschiedensten Lebenslagen entstehen – durch Tod oder Krankheit eines Angehörigen, eigene Erkrankung, Trennung, Verlust des Arbeitsplatzes oder Überlastung im privaten oder beruflichen Bereich. Leitstelle und SPZ-Mitarbeiter greifen auf ein großes Netzwerk an Hilfsangeboten zurück. Das reiche von der Schuldnerberatung bis zu ambulanten und stationären Einrichtungen. Alle Leitstellen werden vom Freistaat finanziert. Die Kosten der mobilen Teams übernehmen die Bezirke.
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