Der Autor von "Meinungen und Gebrauchstexte": Matthias Clemens Hänselmann aus Missen-Wilhams.
Bild: Günter Jansen
Der Autor von "Meinungen und Gebrauchstexte": Matthias Clemens Hänselmann aus Missen-Wilhams.
Bild: Günter Jansen
Zu Pfingsten feiern Christen die Erleuchtung der Apostel durch den Heiligen Geist. Geist könnte vielleicht auch helfen, in einer Gesellschaft, der die Streitkultur abhanden zu kommen droht: Diskussionen eskalieren, falsche Fakten blühen und gedeihen. Woran es wohl mangelt? Darüber hat sich ein Mann aus Missen-Wilhams jenseits der Theologie Gedanken gemacht: Matthias Clemens Hänselmann. Er ist nicht nur Medienforscher, sondern hat auch eine Vorliebe für Zeichentrickfilme. Und er schreibt Bücher. Das Jüngste ist ein Lyrikbändchen: „Meinungen und Gebrauchstexte. In Versen. Mit Reim“.
Es ist von der Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik in Leipzig zur Empfehlung des Monats Mai gekürt worden. „Der Medienforscher und Künstler, Germanist, Editor, Kurzfilmmacher M.C.Hänselmann legt uns hier einen kleinen, in mehrfacher Hinsicht erstaunlichen Gedichtband vor“, heißt es in der Begründung von Sönke Zander.
Und sie argumentiert weiter: „Hänselmanns Texte sind vieles, manchmal auch einfach nur schöne, auf eine unsentimentale Weise melancholische Lyrik. Aber eines sind sie nie: öde Zeigefingermoral, schlechte Gedichte. Sie sind auch ganz und gar „von heute“, sowohl sprachlich als auch stilistisch, vor allem aber inhaltlich. Und daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sie gereimt sind.“ Den Reim verschleiert dabei Matthias Clemens Hänselmann geschickt im Druckbild. Der Reim erschließt sich erst beim Lesen.
Das macht auf vielfältige Weise Spaß. Denn es offenbart zum einen die Freude, die der Autor offenbar selbst am ausgeklügelten Schmieden seiner Verse hatte. Und es offenbart zum anderen seinen Hintersinn, seine nachdenkliche Weltsicht, die sich hier klug hinter der Maske des Humoristen verbirgt, so wie der Narr in früheren Zeiten als einziger ungestraft dem Herrscher den Spiegel vorhalten durfte.
Dieser Humorist macht es dem Leser nicht einfach. Denn er fordert ihn mit seinen Texten dazu heraus, sich eine eigene Meinung zu bilden. Vielen Menschen mangele es heute an dieser Fähigkeit, sagt der 38-Jährige. Das Problem illustriert er witzig als Schlammschlacht in einem Kurzfilm, mit dem er für sein neues Werk wirbt:
„Keine eigene Meinung?“, fragt der Animationsfilm provokativ. „Ja“, grölt ein Mann und hält ein Plakat mit diesem Wort in die Luft. „Oh, oh“, brummelt eine Stimme im Hintergrund, und eine Schrift empfiehlt: „Dann hol dir eine!“ Dazu läuft ein Mann mit dem Plakat „Nein“ gegen den anderen Plakatträger Sturm, und ein Tintenklecks spritzt auf. Eine Frau schreit dazwischen und hält das Schild „Doch“ in die Höhe. Man hört Fäuste im Hintergrund sprechen. Diskussionskultur heute?
Es mangele den Menschen an Medienkompetenz. Genau diese will der Medienforscher in seinen Seminaren vermitteln, die er an Universitäten gehalten hat, etwa in Freiburg, Münster oder zuletzt in Augsburg. Die Idee zu seinem Lyrikband sei durch die steigende Anzahl an Hasskommentaren im Internet geboren worden. „Was passiert da mit der Sprache?“, fragte sich Hänselmann. „Was ist da aus dem Ruder gelaufen?“
Im Gegensatz etwa zur seriösen Zeitung oder zu anderen seriösen Medien gebe es im Internet keine Redaktion, die Aussagen oder Nachrichten auf ihre Quelle hin, auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfe, sagt Matthias Clemens Hänselmann. So können zum Beispiel leicht Verschwörungstheorien aufblühen. Oder Menschen werden falsche Ideale als erstrebenswert vorgegaukelt – etwa von Influencern oder Fernsehshows in kommerziellen Programmen. Menschen seien soziale Wesen. Sie wollen keine Außenseiter sein. Doch wer vergessen oder verlernt hat, sich selbst zu reflektieren, der läuft Gefahr, Rattenfängern hinterher zu laufen.
Selbstreflexion ist wichtig. Denn: „Man kann sich nicht aus seinem Leben lösen, man kann nur anfangen, man selbst zu sein, und diesen Auftrag muss man eben lösen durch „Ja“ und ein hübsch unbequemes „Nein“.“ Mit solchem Refrain beendet Matthias Clemens Hänselmann seine Hinweise, was alles schief läuft in der Welt – obwohl wir es wissen: von der Umweltzerstörung bis zur rücksichtslosen Ausbeutung von Tieren und anderen Menschen.
Am Ende von solch hintersinnig verschmitzten, und mitunter schonungslos schwarzhumorigen Zeilen steht die Erkenntnis: „Was für ein ausgelassenes Gelächter, als wir uns gegenseitig offenbaren, wie eingebildet, dumm und schlechter als selbst das Schlimmste wir schon immer waren …“
Seit zwei Jahren lebt Matthias Clemens Hänselmann wieder in Missen. In den Ort, in dem er bis zu seinem 18. Lebensjahr aufwuchs, ist er jetzt wieder mit seiner eigenen Familie zurückgekehrt. Er hat Germanistik, Kunstgeschichte und Geschichte studiert und an der Universität Passau über den Zeichentrickfilm promoviert. Heute erstellt er hauptberuflich Infofilme für eine große Firma. Wie fantasievoll er das Medium Film einzusetzen weiß, davon zeugen Videos im Internet, die scheinbar ganz schlicht beginnen wie das „Fischlied“ und dann doch zu einem skurrilen Ende finden. Oder wie der Werbespot für sein neues Bändchen „Meinungen“, das vor allem eines will: den Geist anregen.
Matthias Clemens Hänselmann: „Meinungen und Gebrauchstexte. In Versen. Mit Reim“, Geest-Verlag, Visbek, 88 Seiten, Preis: 12 Euro, ISBN 978-3-86685-926-5
Lsen Sie auch: "Auf spannendem Weg: Junge Künstler aus dem Oberallgäu zeigen ihre Werke".