Kriminalistisch unterfüttert: Das Neue Globe-Theater Potsdam spielt in Immenstadt „Figaros Hochzeit“ in der Fassung von Peter Turrini.
Bild: Philipp Plum
Kriminalistisch unterfüttert: Das Neue Globe-Theater Potsdam spielt in Immenstadt „Figaros Hochzeit“ in der Fassung von Peter Turrini.
Bild: Philipp Plum
Nicht genug, dass man ihm auf allerlei perfide Weise die Hochzeit vermasseln will – auch ansonsten hat dieser Figaro im Verlauf der Jahrhunderte jede Menge Ungemach und Persönlichkeits-Häutungen erdulden müssen. Erdacht vor über 200 Jahren von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais, zu Opern-Ehren gelangt mittels Wolfgang Amadeus Mozart, weiterentwickelt und kriminalistisch unterfüttert vor rund 50 Jahren von Peter Turrini – landete er jetzt auf dem erzkomödiantischen Seziertisch des Potsdamer Neuen Globe-Theaters. Wo Andreas Erfurth und Kai Frederic Schrickel wieder ihr pointiert geschliffenes Skalpell (pardon: Regie) führten und das Ergebnis dieser Operation im Immenstädter Hofgarten präsentierten.
Das Grundmotiv – Machtmissbrauch der Obrigkeit, Ohnmacht der Untertanen, Intrigenspiel und Sex-Gelüste allerseits – überdauert die Zeit und bleibt bei jeder Adaption erhalten. Wie auch die Story und ihr Personal: Figaro (perfekt Laurenz Wiegand) will seine heißgeliebte Susanne (bezaubernd Magdalene Thalmann) heiraten, die ebenfalls für ihn glüht. Alles bestens also? Jedoch – beider Dienstherr, der Graf Almaviva (dessen schillernde Figur sich Schrickel selbst überstülpte), macht ihnen zwar eines seiner unzähligen Betten zum Hochzeitsgeschenk – in einem Zimmer gleich neben dem eigenen Schlafgemach.
Von wegen kurzer Dienstweg für Figaro! Den testosteron-gesteuerten Grafen gelüstet’s selbst nach Susanne. Mit Hilfe seines intriganten Bazillus (Martin Radecke) hintertreibt er die Hochzeitspläne, um das „Recht der ersten Nacht“ mit der Zofe zu zelebrieren, während Figaro als reitender Bote außer Haus sein soll. Figaro muss schnellstens gegensteuern und verbündet sich mit der unglücklichen Gräfin Almaviva.
Mittels Kleidertausch und Unterstützung durch den ebenfalls liebessüchtigen jungen Höfling Cherubin (Marius Mik) will man den lüsternen Grafen der Untreue überführen. Das Verwirr-Spiel gerät jedoch total außer Kontrolle, denn die falsche Person steckt zur Unzeit in den falschen Klamotten im falschen Zimmer. Währenddessen der Graf – sozusagen als Vorspiel – mit seiner biegsamen Reitgerte die attraktive Zofe obszön berührt und seine Gattin in wallender roter Robe (bravourös Nora Backhaus) sarkastisch Milvas Song von „ganz Frau aber auch ganz frei zu sein“ singt.
Aber das Tollhaus ist noch nicht vollzählig – da rauscht noch die abgetakelte Schlossbewohnerin Marcelline (in schwabbernder Leibesfülle von Andreas Erfurth trefflich karikiert) ins Geschehen und will Figaro mit einem früheren angeblichen Eheversprechen und der Hilfe korrupter Winkeladvokaten ködern.
In dieser aberwitzigen, slapstickhaften, temporeichen Inszenierung ging’s allen und allzeit immer nur um „das Eine“, leicht drapiert mit verschleierter Gesellschaftskritik und Emanzipationsstreben. Vor einer von Anfang sexuell aufgeheizten Kulisse treiben sämtliche krass überzeichneten Figuren ihr frivol- laszives Spiel mit dem jeweiligen Objekt der Begierde.
Und am Krimi-Ende dieses bizarren Reigens hat Figaro zwar einen Tollhaus-Tag aber nicht seine Hochzeit erfahren – und ausgerechnet Bazillus schreit „Revolution“ und Cherubin schwenkt eine weiße Fahne.