Todesmarsch durchs Allgäu

Verfolgt, verhaftet, im Allgäu gestorben: Erinnerungen an ein NS-Opfer

Grabstein eines NS-Opfers, Zoltan Renner, in Sonthofen.

Einem bislang unbekannten Opfer einen Namen und ein Stück Würde zurückgeben: Zoltan Renners Grabstein auf dem Ehrenfriedhof in Sonthofen.

Bild: Eugen Michelberger

Einem bislang unbekannten Opfer einen Namen und ein Stück Würde zurückgeben: Zoltan Renners Grabstein auf dem Ehrenfriedhof in Sonthofen.

Bild: Eugen Michelberger

Zoltan Renner war KZ-Häftling und starb bei einem Todesmarsch durchs Allgäu. Lange Zeit war seine Identität unbekannt. In Sonthofen erinnert ein Stein an ihn.
23.05.2021 | Stand: 19:00 Uhr

158 Zentimeter groß, ovales Gesicht, dunkelbraune Haare, graue Augen – die Beschreibung eines Häftlings im Konzentrationslager, festgehalten in einer Karteikarte. Es dauerte viele Jahre, bis eine Häftlingsnummer wieder einen Namen und die Beschreibung wieder ein Gesicht bekommen konnte. Jetzt erinnert auf dem Soldatenfriedhof in Sonthofen, 75 Jahre nach seinem Tod, ein goldenfarbener Stein an den ungarischen Juden Zoltan Renner.

KZ-Opfer Zoltan Renner durch Zufall gefunden

Gertrud Graf und Eugen Michelberger fanden seine Identität durch Zufall. Seit vielen Jahren recherchieren die beiden ehrenamtlich über das in Baden-Württemberg gelegene KZ Spaichingen und die Strecken der sogenannten Todesmärsche, die Häftlinge auch durchs Allgäu führten. Die Baden-Württemberger suchen nach Dokumenten, Fotos und lebenden Zeitzeugen, um Erinnerungen zu bewahren und die Schicksale der Gefangenen zu erfahren. Bei diesen Recherchen gelingt es manchmal, die Identität unbekannter Kriegsopfer zu finden. Auch im Fall des ungarischen Juden Renner.

Zoltan Renner wird 1944 in seiner Heimatstadt Budapest aus „politischen Gründen“ verhaftet. Schnell wird er in das KZ Buchenwald gebracht, von dort in das Außenlager Spaichingen verlegt. Auf einer Transportliste wird seine Häftlingsnummer vermerkt – später der entscheidende Hinweis auf seine Identität.

Ein Bild aus dunklen Zeiten: Judenverfolgung in Kempten.
Ein Bild aus dunklen Zeiten: Judenverfolgung in Kempten.
Bild: Ralf Lienert, (Archivbild)

140 Kilometer voller Qual

Am 17. und 18. April 1945 wird das Lager Spaichingen geräumt, es folgt ein Todesmarsch durchs Allgäu. Die ausgehungerten Häftlinge marschieren durch die Landkreise Sigmaringen und Ravensburg, weiter in den Landkreis Unterallgäu über Grönenbach und bis in das Oberallgäu nach Kempten und Sulzberg. Von dort geht es für manche Gefangene beschwerliche Kilometer nach Mittenwald oder ins Ostallgäu bis nach Pfronten, Füssen und Schwangau.

Allein von Spaichingen nach Kempten sind es etwa 140 Kilometer. Für viele zu weit, zu viel. Zoltan Renners Kräfte verlassen ihn im Oberallgäu. Am 25. April 1945 wird er zum letzten Mal bei Kempten gesehen. Kurz darauf, am 27. April 1945, sollte Renners Leben zu Ende sein. Registriert wurde sein Tod in der Pfarrgemeinde Sulzberg, Häftlingsnummer 61 883. Identität: unbekannt.

Das Eingangstor mit der Inschrift
Das Eingangstor mit der Inschrift "Arbeit macht frei" an der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Dachau. Auch Zoltan Renner sollte dorthin gebracht werden.
Bild: Sven Hoppe, dpa (Archivbild)

Todesmärsche im Allgäu gab es viele. Weil die Alliierten 1945 immer weiter vorrückten, wurden mehr und mehr Konzentrationslager geräumt. Die meisten der Häftlinge sollten in das Lager nach Dachau gebracht werden. Doch auch dort kamen US-Truppen an, die Gefangenen wurden befreit. Für die Häftlinge aus Spaichingen musste ein anderes Ziel gesucht werden. Ihr Weg führte sie teilweise chaotisch durchs Allgäu.

Kriegsopfer aus 78 Gemeinden

Häftlinge, die bei diesen Märschen ums Leben kamen, wurden häufig in Gemeinden registriert und dort begraben. „Damit die Versorgung der Kriegsgräber einfacher wird, wurden viele Opfer nach Sonthofen umgebettet“, sagt Jörg Raab, Landesgeschäftsführer des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge. Auch Renner sollte 1958 im Zuge einer Umbettung von Sulzberg nach Sonthofen dort seine letzte Ruhe finden. Kriegsopfer aus insgesamt 78 Gemeinden kamen dorthin.

Jeder der Begrabenen erhielt einen eigenen Gedenkstein. Lange lagen auf dem Ehrenfriedhof 32 unbekannte Todesopfer. Dank den Freiwilligen Graf und Michelberger sind es nur noch 31. Die Chance auf die Identifizierung der übrigen Unbekannten? „Nahezu ausgeschlossen“, sagt Raab. Dafür brauche es „glückliche Umstände“. Oder eben hartnäckige Freiwillige.

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