Kulturgemeinschaft Oberallgäu

Zauber der Einbildungskraft: Ein brillanter "Don Quijote" in Sonthofen

Großartiges Duo: Andreas Erfurth als Sancho Pansa und Laurenz Wiegand als Don Quijote in einer Produktion des Neuen Globe Theaters Potsdam.
Bild: Philipp Plum
Faszinierendes Theater mit Komik und Tiefgang: Zwei großartige Darsteller und ein Gitarrist beschwören in Sonthofen die fantasievolle Welt des „Don Quijote“.

Es scheint das Stück der Stunde: „Die Freiheit ist eine der köstlichsten Gaben, die der Himmel dem Menschen verliehen.“ Das sagt Don Quijote zu seinem Knappen Sancho Pansa. Der Redner meint damit die Freiheit des Geistes, die Freiheit zu denken, was man will. Als die Premiere dieser Theaterversion des Romans von Miguel de Cervantes im Mai des vergangenen Jahres stattfand, konnte noch niemand erahnen, welche Brisanz solche Worte in einer Zeit erhalten, in der ein autokratischer Machthaber mit Krieg, Terror und Gewalt einem anderen Volk dieses Verlangen nach Freiheit absprechen will. Und so schwebte der dunkle Schatten des Krieges, den der russische Präsident Wladimir Putin und seine Getreuen gegen das Nachbarland Ukraine führen, das den demokratischen Nationen entgegenstrebt, über der Aufführung des Neuen Globe Theaters Potsdam im Sonthofer Haus Oberallgäu.

Zuviele Ritterromane gelesen

Auch der spanische Dichter Miguel de Cervantes, der von 1547 bis 1616 lebte, erlebte Terror und Gewalt von verschiedenen Seiten am eigenen Leib. Seinen Roman „Don Quijote“ soll er im Gefängnis begonnen haben. Solche Legende beförderte auch die international erfolgreiche Musical-Adaption „Der Mann von la Mancha“. Das Neue Globe Theater aus Potsdam stützt sich indessen auf eine Bühnenversion von Jakob Nolte, die den episoden- und figurenreichen Roman über einen armen Landedelmann, der zu viele mittelalterliche Ritterromane gelesen hat und nun selbst als Ritter tollkühne Abenteuer bestehen will, auf zwei Hauptfiguren: den Landedelmann, der in die Rolle eines Ritters Don Quijote schlüpft, und dabei ständig auf die Nase fällt, und seinen Gefährten Sancho Pansa, der die Rolle seines Knappen übernimmt und seinen Herrn immer wieder mit der Wirklichkeit konfrontiert, bis auch dieser Diener dem Zauber der Fantasie erliegt …

Mit dem Elan eines Teenagers

Wer den Roman mit den berühmten 120 Illustrationen des französischen Grafikers Gustave Doré (1832 - 1883) kennt, der stellt sich die Titelfigur Don Quijote als alternden Mann vor, inmitten kaum identifizierbarer Hirngespinste, die dunkel dräuend den Raum um seinen Lesestuhl füllen. Die Inszenierung von Kai Frederic Schrickel für das Neue Globe Theater Potsdam bricht von Anfang an mit solchen Klischees: Laurenz Wiegand in der Titelrolle ist ein wendiger, schlaksiger junger Mann, der mit dem Elan eines Teenagers in seine ersten Abenteuer stürmt. Jenes zum Beispiel gegen die Windmühlen. Doch jedes dieser Abenteurer kostet ihn mehr Lebenskraft, jedes raubt ihm mehr Lebenszeit. Sein Todesurteil bedeutet allerdings erst die Erkenntnis, die ihm der Spiegelritter beschert: die Erkenntnis der Wirklichkeit. Doch was ist die Einsicht in die Wirklichkeit gegen das Wunderreich, das die Fantasie dem Menschen eröffnen kann? Sancho Pansa beginnt daran zu kosten …

Die Imaginationskraft des Theaters

Andreas Erfurth stellt diesen Diener seines Herrn als wunderbaren Gegenpart zu seinem Bühnenkollegen Laurenz Wiegand dar. Beide Schauspieler vermögen nur allein mit Sprache, Mimik und Gestik die Wunderwelt mit Rittern, Zauberern und schönen Frauen zu beschwören, in der Don Quijote lebt, und die Wirklichkeit mit Windmühlen, Schafherden und Bauerndirnen, der sich Sancho Pansa gegenüber sieht. In einem mit schwarzen Vorhängen ausgeschlagenem Raum beweisen so die beiden Mimen, wie die Imaginationskraft des Theaters zu wirken vermag.

Piontierte Schauspielkunst auf Sonthofer Bühne

Unterstützt werden sie dabei von dem Gitarristen Rüdiger Krause, der die Aktionen auf der Bühne mit seinem prägnanten Spiel akzentuiert. Manchmal wird diese Klangkulisse durch zusätzliche Instrumenten-Einspielungen und Geräusche über Lautsprecher verstärkt. Doch Klang und Bewegung sind auf das Feinste aufeinander abgestimmt. So werden insbesondere die zahlreichen Kampfszenen, in denen Don Quijote gegen eingebildete Riesen, Zauberer und sonstige Unholde antritt und dabei jämmerlich untergeht, zu Kabinettstückchen pointierter Schauspielkunst. Für die Choreografie zeichnet dabei Jean-Loup Fourure verantwortlich.

Fast voll besetztes Haus Oberallgäu

Sie bildet das i-Tüpfelchen in dieser Inszenierung, die auf Kulissen verzichtet, nur wenige Requisiten benötigt und die Figuren lediglich mit prägnanten Kostümen ausstattet. Die Produktion baut ganz auf die Vorstellungskraft der Zuschauerin und des Zuschauers und greift damit auf Mittel zurück, auf die wohl auch William Shakespeare bei der Aufführung seiner Werke im Globe Theatre setzte, an das die Potsdamer Gruppe mit ihrem Namen erinnert. Solche Reduktion gelingt allerdings nur, wenn sie durch kraftvolle Darstellungskunst aufgefüllt wird, wie an diesem Abend im unter Corona-Bedingungen fast voll besetzten Haus Oberallgäu.

Was die Kulturgemeinschaft Oberallgäu alles bietet.

Das Gastensemble: Das Neue Globe Theater Potsdam.

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