Startseite
Icon Pfeil nach unten
Allgäu
Icon Pfeil nach unten

In Zelle in Vorarlberg vergessen: 17 Tage ohne Essen

Justizopfer

In Zelle in Vorarlberg vergessen: 17 Tage ohne Essen

    • |
    • |
    Eingesperrt und in einer stockdunklen Zelle vergessen: 17 Tage hat Andreas Mihavecz dieses Martyrium überlebt, ehe er durch einen Zufall in seinem Verlies entdeckt wurde. Vor 40 Jahren erhielt er dafür 18.000 Euro.
    Eingesperrt und in einer stockdunklen Zelle vergessen: 17 Tage hat Andreas Mihavecz dieses Martyrium überlebt, ehe er durch einen Zufall in seinem Verlies entdeckt wurde. Vor 40 Jahren erhielt er dafür 18.000 Euro. Foto: Ulrich Wagner (Symbol)

    Stellen Sie sich einen jungen Mann bei einem traumatischen Erlebnis vor – dem drohenden Hungertod in einem stockdunklen Keller-Verlies. Andreas Mihavecz aus Bregenz wird die Erinnerung daran nie wieder los. Der heute 60-jährige Gabelstaplerfahrer gehört zu den bekanntesten Justizopfern Österreichs. Weil Polizisten den völlig unschuldigen, damals 18-Jährigen in einer Gefängniszelle vergessen hatten, bangte er 17 Tage lang um sein Leben.

    Ohne Essen, Wasser und Licht. Der brutalstmögliche Lockdown. „Es war ein Albtraum. Aber ich habe nie die Hoffnung aufgegeben und habe immer versucht, Ruhe zu bewahren. Das ist in so einer Situation das Allerwichtigste“, erinnert er sich im Gespräch mit unserer Redaktion an das Martyrium im April 1979, das nur zufällig ein Ende fand.

    17 Tage lang ohne Essen: Vor 40 Jahren wurde ein Mann in einer Gefängniszelle in Vorarlberg vergessen

    Ein Gemeindebeamter hatte bei einem Kellerrundgang strengen Geruch wahrgenommen und den völlig entkräfteten jungen Mann entdeckt. Der 1,80 große Lehrling war nur noch ein Schatten seiner selbst: Er hatte 25 Kilogramm Körpergewicht verloren, wog jetzt nur noch 54 Kilo. Er verbrachte zwei Wochen auf der Intensivstation, wurde dort langsam wieder aufgebaut. „Ich hab in all der Zeit immer wieder gedacht: Irgendwann ess ich wieder ein Wiener Schnitzel. Und das hab ich dann ja auch geschafft“, sagt Mihavecz.

    Bis heute gilt er als medizinisches Wunder, weil er die Tortur, die in damaligen Medienberichten mit dem finsteren Mittelalter verglichen wurde, überlebte. Mediziner mutmaßten, dass neben seiner körperlichen Robustheit und seiner enormen Willenskraft der kühle und feuchte Raum dazu beigetragen hatte: Der Festgesetzte habe nur wenig Flüssigkeit durch die Haut abgegeben. (Lesen Sie auch: Mutter meldet ihren Sohn als vermisst - und findet ihn vor dem Fernseher wieder)

    Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde: Ein schwacher Trost

    Er bekam einen Eintrag im Guinnessbuch der Rekorde – für das „längstandauernde Überleben ohne die Versorgung mit Nahrung oder Flüssigkeiten“. Doch das ist nur ein schwacher Trost. Genau wie die Entschädigung, die ihm vor genau 40 Jahren zugesprochen wurde: umgerechnet 18 000 Euro. „Wir sind halt leider nicht Amerika“, sagt Mihavecz und lacht verbittert. In den USA hätte ihm wohl ein Millionenbetrag zugestanden.

    Doch wie kam es überhaupt zu dem polizeilichen Versagen, das beinahe ein Menschenleben ausgelöscht hätte? Die Ereignisse am 1. April 1979 begannen vergleichsweise harmlos. Der damalige Spenglerlehrling Mihavecz saß im Auto eines Kumpels, der leicht alkoholisiert in eine Baugrube gefahren war. Polizisten brachten die beiden zur Vernehmung zum Gendarmerie-Postenkommando nach Höchst. Dort passierten gleich zwei unfassbare Irrtümer. (Lesen Sie auch: Im Dschungel vermisst - Polizei findet den Münchner in Kolumbien wieder)

    • Irrtum 1: Die Polizei wollte die beiden separat voneinander befragen. Deswegen sollte der Fahrzeug-Lenker zunächst in eine Zelle gesperrt werden. Doch statt des Unfallverursachers führten die Polizisten den völlig nüchternen Beifahrer Andreas Mihavecz in den Gemeindearrest, der sich damals im Keller eines Amtshauses gegenüber der Gendamerie Höchst befand.
    • Irrtum 2: Die Polizei setzte nicht nur den falschen Mann fest – sondern sie vergaß ihn obendrein. In einem zwölf Quadratmeter großen, fensterlosen Raum, in dem sich nichts weiter als eine Pritsche und ein Abfallkübel befand. Damit nicht genug: Die Beamten vergaßen auch noch, den außerhalb angebrachten Lichtschalter zu betätigen. „Die werden schon gleich wieder kommen“, dachte Andreas Mihavecz. Doch schon bald wurde ihm klar, dass er seinem Schicksal völlig ausgeliefert war. Sein Klopfen, seine Schreie – niemand hörte ihn, niemand dachte mehr an ihn.

    Die Mutter des Mannes gab eine Vermisstenanzeige auf

    Außer natürlich seiner Familie. Seine Mutter gab eine Vermisstenanzeige auf. Doch die wurde ignoriert. Dass Andreas Mihavecz derweil ausgerechnet im Gemeindearrest Todesängste ausstand, auf diesen Gedanken kam offenbar keiner. Später vor Gericht beschuldigten sich die drei beteiligten Gendarme gegenseitig.

    Wegen grober Fahrlässigkeit im Amt wurden sie zu Geldstrafen verurteilt. Bis heute, so schildert es Andreas Mihavecz, habe sich keiner von ihnen bei ihm entschuldigt.

    Lesen Sie auch: Diese sechs Mordfälle im Allgäu sind bis heute ungeklärt - auch eine Schülerin unter den Opfern

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden