Kaum eine Band gibt sich so viel Mühe mit ihren Videos wie Rammstein. Die aufwendigen Clips provozieren und erzählen ganze Geschichten. Mit dem Song "Dicke Titten" hat die Band einen Song geschaffen, der - so zumindest eine Prognose - in den Oktoberfest-Zelten für lautstarke Furore sorgen könnte. Passend dazu persifliert die Band im Video Brauchtum, das dralle Dirndl und die alpenländische Kultur. Darüber haben wir mit Rammstein-Keyboarder Flake Lorenz gesprochen.
Gleich die Frage vorab: 75 A oder doch eher 95 E?
Flake Lorenz: Sind das Landstraßen? Bei uns gibt es die B 96. Die ist mein Vater schon zur Ostsee getrampt. Ich dann später mit zwei Freunden auch. Nach zwei Tagen waren wir da. Eine sehr schöne Straße, manchmal eine richtige Allee. Schatten ist wichtig, wenn man lange unterwegs ist.
Deshalb entstand das neue Rammstein-Video "Dicke Titten" in den Alpen
Ein Bergsteiger-Epos einst beim Song „Ohne Dich“, jetzt Bergdorf-Leben bei „Dicke Titten“. Die alpenländische Kultur im Video ist wieder Thema bei Rammstein. Wie kommt’s?
Lorenz: Bei den Menschen liegen die Augen quer, weil sie eigentlich für ein Leben im flachen Land ausgerichtet sind. Deshalb wirken Berge so gewaltig, die Höhe kann einfach vom menschlichen Gehirn nicht verarbeitet werden. Deshalb wirken Aufnahmen mit Bergen immer besonders stark auf die Emotionen.
Bei „Zick Zack“, dem vorherigen Video zum neuen Album, ging es um Schönheits-OPs. Jetzt um „dicke Titten“. Ein ausladendes Dirndl ist doch natürlicher als urbane Silikon-Oberweiten?
Lorenz: Unser erstes Video zum neuen Album war „Zeit ". Da ging es um Vergänglichkeit und die Unabwendbarkeit des Todes und des Verfalls. Die Menschen können sich damit nicht abfinden und versuchen gegen die Natur zu arbeiten. Wie im Lied „ Zick Zack". Natürlich ist das sinnlos. Wie so vieles. Brüste sind wiederum für das Überleben der Menschheit notwendig. Aber eigentlich nur für Kinder. Und es ist für die Ernährung der Babys völlig egal, wie groß die Brüste sind.

Rammstein-Keyboarder Flake: Deshalb sollte "Dicke Titten" besser kein Oktoberfest-Hit werden
Beim Oktoberfest werden in diesem Jahr wieder die Dirndl geschnürt. Schon in freudiger Erwartung, dass „Dicke Titten“ zum Wiesn-Hit 2022 wird?
Lorenz: Ich war noch nie auf der Wiesn und habe auch nicht vor, sie je in meinem Leben zu besuchen. Wenn ein Lied ein Wiesn-Hit wird, spricht das sicherlich auch nicht für die Qualität des Liedes. Haben die White Stripes schon einen Wiesn-Hit gespielt?
Zumindest grölen die Fans des FC Bayern in der Allianz Arena oft die Basslinie von „Seven Nation Army“.
Lorenz: Spielen die auf der Wiesn jetzt auch Fußball?
Rammstein-Videos leben von Überzeichnungen. Wie dick muss man auftragen, um Klischees, die bereits in den 1970er in Filmen wie „Drei Schwedinnen in Oberbayern“ bedient wurden, zu toppen?
Lorenz: Keine Ahnung, ich kenne den Film nicht. Wie kommen die Schwedinnen nach Oberbayern? Gab es 1970 einen Direktflug aus Schweden? Wir sind mit dem Zug nach Kitzbühel gekommen, einmal in München umsteigen!
Der Alm-Öhi, der Dorfpfarrer, die dralle Magd: Warum funktionieren gerade alpenländische Klischees so gut?
Lorenz: Funktioniert das gut? Wofür? Vielleicht weil die Amerikaner denken, so ist es in Deutschland überall, und die ganzen Bilder aus Berlin sind alle geschummelt. Jetzt sehen sie, das sie doch recht hatten mit ihren Vorstellungen und freuen sich.

Martialisches Schuhplatteln der Männer und hernach auf die Jagd gehen - bewahrt die alpenländische Kultur das Animalische im Menschen und ist deshalb ein Thema für Rammstein?
Lorenz: Wir beschäftigen uns eher mit Menschen, denen es nicht so gut geht. Und mit den Abgründen der menschlichen Seele.
- Lesen Sie hier: Dirigent aus dem Allgäu arbeitete am neuen Rammstein-Album mit
Ist der Rammstein-Blick im Video aufs Bergdorf nicht überholt? Der Alm-Öhi hat schon längst seine Partnerin online gefunden, der transsexuelle Nachbar ist nach Berlin gezogen und das alte Dieselross wurde durch einen monströsen Fendt ersetzt?
Lorenz: Wir machen ja keine Dokumentation über das Alpenland, sondern ein Musikvideo zu einem Lied. Da muss nicht alles mit der derzeitigen Wirklichkeit übereinstimmen.
Als Liebhaber von Oldie-Traktoren ist der alte Schlepper im Video für Sie sicherlich der Hauptdarsteller?
Lorenz: Ich habe meinen Traktor verkauft, weil sich meine Nachbarn immer beschwert haben wenn ich den angeworfen habe. Mein Grundstück ist auch sehr klein, da passt kaum ein Rasenmäher hin. Im Video hat mich die Kuh aber noch mehr beeindruckt, die war auch fast so groß wie der Traktor und viel wilder.
Naturschützer könnten anmahnen, dass der blinde Alm-Öhi im Video ausgerechnet ein Edelweiß zertrampelt. Das machen hier aber eher die Bergtouristen....
Lorenz: Bei uns ist das mehr als Metapher zu verstehen, das einem das Schöne nichts nützt wenn man es nicht zu schätzen weiß.

Sie durften im Video nicht zu den drallen Mädels, sondern mussten der Großmutter helfen, das Garn aufzuwickeln. Traurig darüber?
Lorenz: Auch wenn ich laute Musik mache, gehe ich stramm auf die 60 zu. Da liegen mir ruhige Beschäftigungen mehr, der Arzt sagt auch, ich soll Aufregungen meiden.
Angenommen, Musikvideos wären noch im TV präsent: Gäbe es heutzutage noch Ärger wegen „Dicke Titten“.
Lorenz: Heutzutage gibt es eher Ärger wegen zu kleiner Brüste. Siehe Germany’s Next Topmodel.
Das würde Rammstein-Keyboarder Flake als erstes im Allgäu-Urlaub machen
Kässpatzen, ein Bier oder eine Bergtour: Was wäre das erste, was Sie bei einem Urlaub im Allgäu genießen würden?
Lorenz: Ich würde als erstes einen Gang in die Berge machen - in der Hoffnung eine Zeitlang keinem Menschen zu begegnen.
Zur Person: Christian „Flake“ Lorenz startete seine Musikkarriere mit der ostdeutschen Punkband "Feeling B". 1994 wurde er Keyboarder bei Rammstein. Die Band ist derzeit mit dem neuen Album "Zeit" auf Tournee. Mit „der Tastenficker“ legte Lorenz seine von Kritikern gelobte Biografie vor.