Die Signale sind überdeutlich: Engagierte Katholikinnen und Katholiken aus dem Allgäu wollen, dass sich ihre Kirche verändert. So werden beispielsweise „längst überfällige Reformen“ eingefordert. Ein Ehrenamtlicher aus Kempten sagt, dass ihn die aktuellen Geschehnisse traurig machten und er sich teilweise für seine Kirche schäme. Ein Gutachten zu sexuellem Missbrauch im Erzbistum München und Freising hat diese Diskussionen ausgelöst und erschüttert die katholische Kirche. Es kommt zum Schluss, dass Missbrauchsfälle in der Diözese über Jahrzehnte nicht angemessen behandelt wurden. Dem einstigen Erzbischof Joseph Ratzinger und heutigen emeritierten Papst Benedikt XVI. wirft es Fehlverhalten vor. In vielen Orten steigt die Zahl der Kirchenaustritte. Auch aus der Kirche selbst mehren sich Stimmen, dass Veränderungen unausweichlich seien. Beim Synodalen Weg, dem Reformprozess der katholischen Kirche, wurde am Wochenende gefordert, dass Priester nicht mehr zölibatär leben müssen und Frauenrechte gestärkt werden.
"Zutiefst erschüttert und traurig"
Tym Skorta (25) ist von Kindheit an engagiert: als Ministrant, Mesner, Organist, in der Jugend, im Pastoralrat der Pfarreiengemeinschaft Kempten-West und als Vorsitzender des Pfarrgemeinderats St. Hedwig. „Zutiefst erschüttert und traurig“ schaut er auf die Vorwürfe gegen Priester, Amtsträger und andere. Zu massiv seien die Missbrauchsvorwürfe, zu massiv mancher Finanzskandal oder unglaubwürdiges Auftreten von Kirchenvertretern. Angesichts dessen „schäme ich mich teilweise auch für meine Kirche“. Skorta hofft, dass die Verantwortlichen die nötigen Schritte zur Aufklärung einleiten, damit Kirche wieder das werde, was sie sein solle: „Das Haus für alle Menschen, in dessen Mitte Gott wohnt.“
Claudia Aigner , Pastoralreferentin für Kindertagesstätten und Religionslehrerin in Jengen (Kreis Ostallgäu), berühren die Negativ-Nachrichten. Trotzdem liegen ihr die Kirche und ihr Glaube am Herzen. „Ich habe die Hoffnung, dass endlich etwas bewegt wird“, sagt die 59-Jährige. Sie nimmt aktuell Signale und Anstöße von vielen Seiten wahr – etwa vom Synodalen Weg oder der Kampagne „OutInChurch“, bei der sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirche etwa zur Homosexualität bekennen. Es stünden so viele Menschen auf, dass die Kirche nicht mehr zurück könne. „Das Gesicht der Kirche verändert sich“, ist sich die Ostallgäuerin sicher. Das lässt sie – trotz bitterer Nachrichten – weiterhin hoffen.
"Da blutet mir das Herz"
Elisabeth Rotter, Co-Vorsitzende im Frauenbundbezirk Lindenberg (Westallgäu), ist erschüttert über das Ausmaß des Missbrauchsskandals. „Es geht hier um Kinder in Heimen, die keine Lobby haben, für die sich keiner einsetzt“, sagt sie. „Bei dem Gedanken, was denen angetan wurde, blutet mir das Herz – auch als Mutter.“ Dabei muss sie auch an ihre eigene Kindheit denken. „Für die Beichtvorbereitung sollten wir einen Beichtspiegel lernen. Was wir alles hätten beichten sollen!“, schildert die engagierte Katholikin. „Und dann erfahren wir von solchen Verbrechen durch Priester. Da wird einem einfach nur schlecht.“ Angesichts der Enthüllungen müsse sich der emeritierte Papst Benedikt „persönlich entschuldigen“.
Gläubige aus dem Allgäu hat viele Fragen
Andrea Schnug, Vorsitzende des Gesamtpfarrgemeinderats Memmingen, fordert eine „sofortige und lückenlose Aufklärung“ sowie „längst überfällige“ Reformen. Außerdem müssten die Opfer entschädigt werden. „Ich empfinde tiefes Mitgefühl mit den Menschen, die im Kindesalter durch erwachsene Menschen in führenden Positionen solch großes Leid erfahren mussten und deren Leben dadurch zerstört wurde.“ Für Schnug bleiben viele offene Fragen: „Wieso kann, darf oder will man die Wahrheit in diesen Fällen nicht ans Licht bringen? Haben diejenigen, die diese Fälle aufdecken sollen, Angst vor etwas? Kommt da noch mehr auf uns zu? Ist die Institution katholische Kirche überhaupt noch glaubwürdig?“