Im Ostallgäuer Gennachhausen ziert eine ungewöhnliche Skulptur den neuen Straßenübergang. Warum die Dorfgemeinschaft genau dieses Werk in Auftrag gegeben hat.
Sie ist solide und zweckmäßig, die neue Straßenbrücke, die seit 2016 im Ostallgäuer Gennachhausen bei
Kaufbeuren über die die Gennach führt. Doch die rührige Dorfgemeinschaft in dem 100-Einwohner-Ortsteil der Gemeinde
Stöttwang wollte noch ihren eigenen Akzent setzen und das Bauwerk mit einem Brückenheiligen schmücken. Seit wenigen Wochen erblicken die Nutzer des Übergangs aber nicht die an solchen Stellen oft platzierten Heiligen Johannes Nepomuk oder Christopheros. Vielmehr sitzt eine weibliche Personifizierung des Flusses am Ufer.
Symbol der Reinheit
Natürlich hätten auch die Gennachhausener bei der Frage, wie die neue Brücke verschönt werden könnte, zunächst an einen klassischen Brückenheiligen gedacht, berichtet Bettina Bader von der Dorfgemeinschaft. Ihr Mitstreiter Helmut Jehle habe sich deshalb an seine Bekannte Lucia Hiemer gewandt. Die Bildhauerin aus der Gemeinde
Waltenhofen bei
Kempten kam ins
Ostallgäu, erkundete das Flussufer rund um Gennachhausen und machte sich so ihre eigenen Gedanken: Angesichts der modernen Brückenbaukunst stehe ein Patron, der einen beim Überqueren des Flusses behütet, nicht mehr ganz so im Vordergrund wie in früheren Zeiten. Das Wasser sei nicht mehr die Gefahr, sondern als natürliche Ressource eher in Gefahr. Deshalb wollte Hiemer eine Flusspatronin schaffen, die Jugendlichkeit und Reinheit, aber auch die Verletzlichkeit der an dieser Brücke noch jungen Gennach symbolisiert.
Um Spenden gebeten
Ein Ansatz, den die Gennachhausener überzeugend fanden. Bei einer Dorfversammlung stellte die Künstlerin ihren Entwurf vor, und „die, die da waren, fanden das eine gute Sache“, berichtet Bader. Anschließend zogen die Macher durch das Dorf und baten um Spenden für die Verwirklichung der Skulptur - immerhin ein stattlicher vierstelliger Euro-Betrag war notwendig. „Über die Resonanz waren wir sehr erstaunt“, sagt Bader. Die Gennachhausener spendeten großzügig, die Dorfgemeinschaft griff in ihre Kasse, außerdem gab es Unterstützung von der Gemeinde Stöttwang, dem dortigen Obst- und Gartenbauverein und dem Hochwasserschutz-Zweckverband Gennach-Hühnerbach.
Aus dem Stamm der Eiche
Zumindest das Material für die Skulptur war schon vorhanden. Eine alte Eiche in der Nähe des Dorfes fiel einem Unwetter zum Opfer, und so konnte Künstlerin Hiemer den mächtigen Stamm für ihre Arbeit nutzen. Daraus entstanden ist die Darstellung einer jungen Frau, die sich verträumt auf wogenden Wasserwellen niedergelassen hat. Ihren Kopf hat sie zur Seite gelegt, und ihre Haare nehmen das wallende Wasserspiel des Sockelbereichs wieder auf. Das Eichenholz hat Hiemer dezent bemalt, die Skulptur ruht auf einem Nagelfluhfelsen, der ebenfalls aus der Region stammt. Die momentan noch schmucklose Umgebung der „Gennach“ soll, laut Bader, in nächster Zeit noch bepflanzt und mit einer Ruhebank versehen werden. Auch eine zumindest dorfinterne Enthüllungsfeier soll es noch geben, sobald die Corona-Beschränkungen das zulassen.
"Mal was anderes"
Und wie haben die Dorfbewohner darauf reagiert, dass sie bei ihrem Weg über die Gennach nun nicht von einem braven Brückenheiligen, sondern von einer relativ freizügigen Flusspatronin geleitet werden? „Meines Wissens hat sich niemand aufgeregt“, meint Bader lachend. Vielmehr sei die Lebendigkeit und das Unkonventionelle der Skulptur gelobt worden: „Das ist mal was anderes“, habe es oft geheißen. Dagegen habe eine ganz andere Sache etliche Betrachter umgetrieben. Nämlich die Frage, wer für die „Gennach“ wohl Modell gesessen hat.